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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition)
Autoren: Hilary Mantel
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kannst. Du musst nicht hinsehen. Wenn die Seele den Körper verlässt, knien wir nieder, senken den Blick und beten.«
    Das Schafott ist auf einer offenen Fläche errichtet worden, auf der einst Turniere abgehalten wurden. Eine Wache von zweihundert Gemeinfreien sammelt sich, um den Zug anzuführen. Das gestrige Durcheinander, die Verwirrung wegen des Datums, die Verzögerungen, die Fehlinformationen: Nichts von alledem darf sich wiederholen. Er ist schon früh da, als sie das Sägemehl ausstreuen. Seinen Sohn hat er in Kingstons Wohnung gelassen, bei den anderen, die in diesen Augenblicken zusammenkommen: den Sheriffs, den Vorstehern, den Amts- und Würdenträgern Londons. Er steigt auf die Stufen zum Schafott, um zu sehen, ob sie sein Gewicht tragen. Das hält, Sir, sagt einer der Sägemehlverteiler, wir sind alle rauf und runter, aber ich nehme an, Sie wollen’s selbst überprüfen. Als er den Blick hebt, ist Christophe da und redet mit dem Scharfrichter. Der junge Mann ist gut angezogen, er hat eine Zulage bekommen, um sich wie ein Gentleman einkleiden zu können, damit er nicht so leicht von den anderen Amtspersonen zu unterscheiden ist. Das soll der Königin unnötigen Schrecken ersparen, und wenn die Kleider verdorben werden, hat er sie wenigstens nicht aus eigener Tasche bezahlt. Er, Cromwell, geht zum Scharfrichter. »Wie werden Sie es machen?«
    »Ich werde sie überraschen, Sir.« Ins Englische wechselnd zeigt der junge Mann auf seine Füße. Er hat weiche Schuhe an, so wie man sie auch im Haus trägt. »Sie wird das Schwert nicht zu Gesicht bekommen. Ich habe es dort im Stroh versteckt. Ich werde sie ablenken, und sie wird nicht merken, woher ich komme.«
    »Aber mir zeigen Sie es.«
    Der Mann zuckt mit den Schultern. »Wenn Sie meinen. Sind Sie Cremuel? Man hat mir gesagt, dass Sie hier für alles zuständig sind. Witze gemacht haben die Leute und gesagt: Wenn du bewusstlos wirst, weil sie so hässlich ist, wird einer da sein, der das Schwert nimmt. Sein Name ist Cremuel, und er ist ein Mann, der auch noch der Hydra den Kopf abschlagen würde. Allerdings weiß ich nicht, wer das sein soll. Sie sagen, es ist eine Echse oder eine Schlange, und für jeden Kopf, den man ihr abschlägt, wachsen zwei neue.«
    »Nicht in diesem Fall«, sagt er. Wenn die Boleyns erst einmal weg sind, sind sie weg.
    Die Waffe ist schwer und muss mit beiden Händen gefasst werden. Sie ist fast vier Fuß lang, zwei Zoll breit, mit runder Spitze und doppelter Schneide. »So übt man«, sagt der Mann. Wie ein Tänzer dreht er sich auf der Stelle, die Arme hoch erhoben und die Fäuste verschränkt, als hielten sie das Schwert. »Jeden Tag muss man mit der Waffe umgehen, und wenn es nur ist, um die Bewegungen zu trainieren. Man kann jeden Moment gerufen werden. In Calais töten wir nicht so viele, aber man wird in andere Städte gerufen.«
    »Es ist ein gutes Gewerbe«, sagt Christophe. Auch er möchte das Schwert halten, aber Cromwell will es noch nicht loslassen.
    Der Mann sagt: »Es heißt, ich kann auf Französisch zu ihr sprechen, und sie wird mich verstehen.«
    »Ja, tun Sie das.«
    »Aber sie muss sich hinknien. Das muss ihr gesagt werden. Es gibt keinen Block, verstehen Sie. Sie muss aufrecht knien und darf sich nicht bewegen. Wenn sie stillhält, ist es in einem Augenblick vorbei. Wenn nicht, wird sie zerstückelt.«
    Er gibt die Waffe zurück. »Dafür kann ich sorgen.«
    Der Mann sagt: »Es dauert nicht länger als die Pause zwischen zwei Herzschlägen. Ehe sie es weiß, ist sie in der Ewigkeit.«
    Sie gehen davon. Christophe sagt: »Master, er wollte, dass ich ihr sage, sie soll sich die Röcke um die Füße wickeln, wenn sie sich hinkniet, für den Fall, dass sie komisch fällt: damit sie nicht aller Welt zeigt, was viele edle Gentlemen schon gesehen haben.«
    Er tadelt den Jungen nicht wegen seiner Ungehobeltheit. Christophe ist derb, hat aber recht. Und als es so weit ist, erweist sich, dass sie es von sich aus tut. Die Frauen müssen darüber gesprochen haben.
    Francis Bryan erscheint neben ihm, in seinem Lederwams schwitzend. »Nun, Francis?«
    »Ich habe den Auftrag, sobald ihr Kopf herunter ist, zum König zu reiten und ihn und Mistress Jane darüber zu informieren.«
    »Warum?«, fragt er kalt. »Glauben sie, der Henker könnte es verpatzen?«
    Es ist fast neun Uhr. »Haben Sie gefrühstückt?«, fragt Francis.
    »Ich frühstücke immer.« Aber er fragt sich, ob der König gefrühstückt hat. »Henry hat kaum von
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