Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition)
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
selber machen?«
    Er steht da und blickt hinunter in den dunkler werdenden Garten: wie gelähmt, die Frage ein Messer zwischen seinen Schulterblättern. Es gibt nur einen Mann unter all den Untertanen des Königs, dem sich diese Frage stellen kann und der es wagen würde, sie auszusprechen. Nur einen, der es wagen würde, seine, Cromwells, Treue dem König gegenüber infrage zu stellen, die Treue, die er ihm täglich beweist. »So …«, sagt er endlich. »Stephen Gardiner nennt sich also selbst einen Gentleman.«
    Vielleicht sieht Wriothesley in den kleinen, ihr Spiegelbild verzerrenden und vernebelnden Scheiben Ungewissheit, Zweifel, Furcht, Gefühle, die nicht oft auf dem Gesicht des Master Sekretärs zu sehen sind. Denn wenn Gardiner das denkt, wer dann noch? Wer wird es noch in den kommenden Monaten und Jahren denken? Er sagt: »Wriothesley, Sie erwarten doch nicht ernsthaft von mir, dass ich mein Tun vor Ihnen rechtfertige? Wenn Sie erst einmal einen Kurs eingeschlagen haben, sollten Sie sich nicht dafür entschuldigen. Gott weiß, ich will nur Gutes für unseren Master, den König. Ich bin verpflichtet, zu gehorchen und zu dienen. Und wenn Sie mich genau beobachten, sehen Sie, wie ich dieser Pflicht folge.«
    Er dreht sich um, als er denkt, so dürfe Wriothesley sein Gesicht sehen. Sein Lächeln ist unerbittlich. Er sagt: »Trinken Sie auf mein Wohl.«

III
    Beute
    London, im Sommer 1536
    Der König sagt: »Was ist mit ihren Kleidern geschehen? Ihrem Kopfputz?«
    Er sagt: »Das ist die Vergütung für die Leute vom Tower.«
    »Kaufen Sie alles zurück«, sagt der König. »Ich will wissen, dass es vernichtet wurde.«
    Der König sagt: »Fordern Sie alle Schlüssel zu meinen Gemächern ein. Hier und anderswo. Die Schlüssel zu allen Räumen. Ich will, dass die Schlösser ausgetauscht werden.«
    Überall sind neue Bedienstete oder alte Bedienstete mit neuen Aufgaben. Anstelle von Henry Norris ist Sir Francis Bryan zum obersten Kammerherrn ernannt worden und wird eine Rente von hundert Pfund erhalten. Der junge Herzog von Richmond wird zum Chamberlain von Chester und Nord-Wales ernannt, zum Warden of the Cinque Ports (als Ersatz für George Boleyn) und zum Konstabler von Dover Castle. Thomas Wyatt wird aus dem Tower entlassen und bekommt ebenfalls hundert Pfund. Edward Seymour wird zum Viscount Beauchamp befördert, Richard Sampson wird Bischof von Chichester. Die Frau von Francis Weston verkündet, dass sie wieder heiratet.
    Er hat sich mit den Seymour-Brüdern besprochen, welchen Wahlspruch Jane als Königin in ihr Wappen aufnehmen soll. Sie einigen sich auf: »Bestimmt zu gehorchen und zu dienen.«
    Sie legen Henry den Spruch vor. Ein Lächeln, ein Nicken: völlige Zufriedenheit. Die blauen Augen des Königs sind heiter und gelassen. Während des Herbstes 1536 wird der Phönix den Falken mit seiner Herrscherkrone in Glasfenstern, Steinmetzarbeiten und Holzschnitzereien ersetzen, die Wappenlöwen der Toten weichen den Panthern Jane Seymours. Der Aufwand ist nicht groß, müssen doch nur Köpfe und Schwänze der Tiere ausgetauscht werden.
    Die Hochzeit findet schnell und im kleinen Kreis statt, im Kabinett der Königin in Whitehall. Wie sich herausstellt, ist Jane eine entfernte Cousine des Königs, aber die nötigen Dispense werden in aller Form erteilt.
    Er, Cromwell, ist vor der Zeremonie beim König. Henry ist schweigsamer und schwermütiger, als es ein Bräutigam an seinem Hochzeitstag sein sollte. Er denkt nicht an seine letzte Königin, sie ist seit zehn Tagen tot, und er spricht nie über sie. Aber er sagt: »Crumb, ich weiß nicht, ob ich noch Kinder bekommen werde. Platon sagt, die beste Nachkommenschaft eines Mannes wird geboren, wenn er zwischen dreißig und neununddreißig ist. Die Zeit habe ich hinter mir. Ich habe meine besten Jahre verschwendet. Ich weiß nicht, wo sie sind.«
    Der König hat das Gefühl, um sein Schicksal betrogen worden zu sein. »Als mein Bruder Arthur starb, prophezeite mir der Astrologe meines Vaters eine erfolgreiche Regentschaft, Wohlstand und viele Söhne.«
    Den Wohlstand zumindest hast du erreicht, denkt er: Und wenn du dich auch weiter an mich hältst, wirst du reicher werden, als du es dir je hast vorstellen können. Irgendwo stand Thomas Cromwell in deiner Konstellation.
    Die Schulden der toten Frau werden fällig. Sie betragen mehrere tausend Pfund, die sich durch ihren konfiszierten Besitz decken lassen. Ausbezahlt werden: ihr Kürschner, ihre Strumpfwirkerin,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher