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Fahrt ohne Ende

Fahrt ohne Ende

Titel: Fahrt ohne Ende
Autoren: Arno Klönne
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hektographierten Blätter in Wolfs Hand. Aussehen und Inhalt der Blätter waren durch allerlei »Steckbriefe« hinlänglich bekannt, und so wunderte sich Wolf nicht, als ihm Hans am übernächsten Tag sagte:
    »Du, Wolf, beim Bann liegt eine Anzeige gegen dich wegen illegaler Schriften. Wenn ich dir ‘nen Rat geben soll: geh heut nachmittag gleich zum Bann hin mit dem Ding; sag, man hätt‘ dir das ins Haus geschickt, ,Absender unbekannt‘ und so weiter. Dann kann nicht viel passieren!«
    Wolf überlegte sich den Fall genau. Es konnte wirklich der Gruppe nicht viel passieren, wenn er Hans‘ Rat folgte. Tat er‘s nicht, gab‘s die größten Scherereien.
    Also ging er nachmittags zum Bann hin. Ein Hitlerjunge brachte ihn in das Dienstzimmer des Bannführers, der diese Angelegenheit selbst erledigen wollte.
    Wolfs Gesicht blieb vollkommen ruhig, als er außer dem Bannführer und einem protokollierenden jungen Mann auch Hans in Uniform im Raum vorfand.
    Wolf sagte »Heil Hitler« und berichtete umständlich, wie er — vollkommen ahnungslos natürlich — an dieses komische Flugblatt gekommen war.
    »So, und von wem das stammt, hast du keine Ahnung?«
    »Nein.«
    Der Bannführer diktierte dem Protokollführer: »Zeuge hat nach seiner Aussage keine Ahnung, woher das Blatt stammt.«
    Er wandte sich wieder Wolf zu:
    »Nach Angabe eines Schülers deines Gymnasiums käme als Verbreiter des Blattes vielleicht Hepp Siegel in Frage. Kannst du etwas darüber aussagen?«
    Wolf wurde blaß. Er sagte:
    »Nein.«
    Da mischte sich Hans ein:
    »Hepp Siegel ist mir bekannt. Der kommt als Täter nicht in Frage, sicher nicht.«
    Der Bannführer diktierte wieder:
    »Protokoll: Ein anwesender Fähnleinführer erklärt, daß ein in diesem Zusammenhang erwähnter Schüler als Täter nicht in Frage kommt.«
    Der Protokollführer unterbrach:
    »Soll ich den Namen angeben im Protokoll?«
    »Nein, nicht nötig«, und zu Wolf: »Du kannst gehen.« Als er wieder allein in seinem Zimmer war, sagte der Bannführer leise und befriedigt vor sich hin: »So, das wäre ja noch mal gut gegangen. Dieser Wolf hat sich übrigens prachtvoll kühl benommen. Beim Noteinsatz soll er ja auch der Beste sein. Tja...«
     
    * * *
     
    Im Osten, 4. 10. 43.
    Lieber Wolf,
     
    Dein letzter Briet hat mich sehr gefreut. Nimm den Einsatz als etwas, das bestanden sein will. Was haben die letzten Angriffe in der Stadt angerichtet? Steht die Marienkirche noch heil da? Und weißt Du, wo Kostja steckt?
    Gestern erhielt ich Nachricht, daß wieder ein Junge aus meiner ersten Gruppe am Mittelabschnitt hier im Osten gefallen ist. Es war einer der Besten. Aber der Tod ist ja unerbittlich. Es wäre furchtbar, wenn wir nicht wüßten, daß die Welt und unser Leben nicht mehr ist als eine große Brücke. Ein Brücke zum Herrn über den Strom der Zeit.
    Nur wissen so viele Menschen nicht, daß die Brücke drüben über ein Ufer führt. Ich glaube heute mehr denn je, daß es nichts Wichtigeres gibt, als die Menschen ein wenig an der Hand zu nehmen und sie über diese große Brücke zu leiten, ihnen zu zeigen, daß drüben das Ziel liegt.
    Wolf, denkst Du noch an unsre Fahrt nach Altenberg? An dem Tage habe ich mich entschlossen, Priester zu werden --
    Ich muß Schluß machen. Die Kerze ist schon last abgebrannt. Nur noch eins: wir stecken ziemlich »dick drinnen «. Wenn ich nicht herauskomme — meine Bücher und meine Balaleika gehören Dir. Auch mein Tagebuch möchte ich Dir übergeben. Und noch etwas anderes möchte ich Dir übergeben, Du wirst dann wissen was.
    Es grüßt Dich und Euch alle herzlich
    Jürgen.
     
    Am gleichen Abend hatte Jürgen in sein Tagebuch geschrieben: »... Ich weiß, daß Wolf einmal den Weg weitergehen wird, wenn wir abgerufen werden. Es wird unendlich viel zu tun sein, wenn dieser Krieg einmal zu Ende gegangen sein wird. Und das wird starke und heiße Herzen fordern. Ob ich erwarten darf, daß Wolf auch als Priester sich auf meinen Platz stellen wird? Ich weiß es nicht. Aber ich darf es wünschen und darum beten —«
    Das war die letzte Tagebuchaufzeichnung Jürgens.
    Jürgen fiel am 6. 10. 1943, als sein Zug den Rückmarsch der Kompanie decken mußte.
    Wolf erfuhr es vier Tage später. Er konnte in der Schule einfach kein Wort herausbringen. Unglücklicherweise hatten sie die ersten Stunden bei »Stubbi«. Stubbi betrat schon vor Jahren die Klasse nur in SA.-Uniform. Da er Deutsch und Geschichte gab, kannte er Wolfs Einstellung und
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