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Fahrt ohne Ende

Fahrt ohne Ende

Titel: Fahrt ohne Ende
Autoren: Arno Klönne
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sicher bald schreiben... Und ob er das schon wüßte, daß Alf wieder da war? Und^ daß Hepp auch wieder auf den Beinen war, übrigens in der Fabrik arbeite und nebenher eine Abendschule besuche? Ach, da gäb‘ es so viel zu erzählen... Ob er nicht auch einmal die Stadt besuchen wolle?
    Wolf hatte überlegt. Aber dann sagte er sich: Nein. Es wäre nur ein Verschieben des endgültigen Abschieds. Sein Weg war doch festgelegt, er selbst hatte ihn festgelegt.
    Daß er dann eigentlich keinen Grund hatte, die Stadt und die Freunde nicht zu besuchen, daß es doch wohl so etwas wie Furcht war, das ihm von einem Besuch der Stadt abriet, das gestand sich Wolf nicht ein.
    Eines Nachmittags rief ihn die Mutter von einem Buch fort:
    »Wolf, da ist jemand für dich, ich hab‘ ihn vorn ins Zimmer geführt.«
    »Wer ist es denn?«
    »Ich weiß nicht. Von hier jedenfalls nicht.«
    Wolf ging hinüber. Als er die Zimmertür öffnete, stand da — Alf, mit dem Gesicht zum Fenster.
    »Alf!«
    »Ja, Tag, Wolf.« Alf gab ihm die Hand.
    »Ich hörte von Klaus, daß du jetzt hier hockst. Und da bin ich mal ‘rüber gekommen, nur um dir zum Abitur zu gratulieren, ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«
    Dann mußte Alf stundenlang erzählen: von seiner Flucht, seinem Leben in der Fremde, wie er bei der französischen Résistance mitgetan hatte, nach der Invasion als Besatzungsoffizier mit nach Deutschland sollte, aber dankend abgelehnt und statt dessen harte Arbeit gewählt hatte; in Palästina war er zuletzt gewesen und hatte mit an den Siedlungen dort gebaut... Vor zwei Monaten war er nun nach Deutschland zurückgekehrt. Als »Naziverfolgter« und Widerstandskämpfer hätte er natürlich irgendeinen »Posten« ergattern können. Aber er zog es vor, sich als Arbeiter in einem Werk das Geld für das weitere Studium zu verdienen. Ja, und was die anderen machten, Hepp und Peter und Kostja? Klaus hatte ihm, Wolf, ja wohl geschrieben? Übrigens — wußte Wolf, wo der Kaplan jetzt war, der früher an der Marienkirche gewirkt hatte?
    Wolf wußte es. Er gab Alf die Adresse.
    »Und was hast du nun vor, willst du studieren, .Wolf?«
    »Ja, Jura.«
    Und Wolf legte Alf dar, wie er sich sein zukünftiges Leben dachte.
    »Und — ist das alles?«
    »Sicher. Was soll ich denn sonst noch Vorhaben?«
    »Oh, keine großen Dinge. Nur — erinnerst du dich mitunter noch an die Gruppe, Wolf?«
    »Natürlich. Aber das--war einmal. Einmal muß ja jeder aus den Dingen der Jugend herauskommen.«
    »Ja, richtig. Nur muß er das mitnehmen, was wertvoll war. Er muß die Stufen höher hinangehen. Die meisten Menschen jedoch gehen die Stufen hinab, wenn sie älter werden. Sie sagen dann: Erfahrung, Realismus, Abgeklärtheit des reifen Menschen — aber in Wahrheit ist es nichts als Resignation und Bequemlichkeit. Liest du schon mal Nietzsche, Wolf? Ich verehre ihn durchaus nicht. Ich hab‘ auch gar nicht einmal viel von ihm gelesen. Aber ein Wort von ihm vergesse ich so leicht nicht: ,Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre höchste Hoffnung — über den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele.‘ Komm, laß uns von etwas anderem sprechen...«
    Bevor Alf sich verabschiedete — er wollte seine paar Urlaubstage gründlich ausnützen und mußte deshalb weiter —, sagte er:
    »Wolf, du hast doch Jürgens Bücher in Besitz, nicht wahr? Weißt du«, und Alf sah angestrengt an Wolf vorbei zum Fenster hinaus, »ich erinnere mich, daß in einem von Jürgens Büchern vorn steht: Eher den Tod als müde werden! Ich hab‘ es ihm nämlich selbst hineingeschrieben. Und das hab‘ ich nicht vergessen, obschon wir Menschen ja so leicht auf etwas vergessen, mitunter auf das, worauf es ankommt — Tja, ich muß. gehn. Mach‘s gut, Wolf, und schreib mir mal. Oder besuch mich mal, mich und die Stadt, nicht wahr?«
    Seit diesem Besuch Alfs kam irgendwie etwas in Wolf nicht wieder zur Ruhe. Die Erinnerung war eben nicht in einen Winkel der Seele zurückzudrängen oder gar einzuschläfern. Und die Erinnerung wollte nicht Erinnerung bleiben, sie wollte mehr...
    Eines Sonntagnachmittags nahm Wolf aus seinem Bücherschrank ein schmales Heft heraus, vor dem er in den letzten Jahren fast so etwas wie eine ängstliche Scheu gehabt hatte. Es waren die Tagebuchaufzeichnungen Jürgens. Da stand, als letzte Eintragung:
     
    ... Ich weiß, daß Wolf einmal den Weg weitergehn wird, wenn wir abgerufen werden. Es wird unendlich viel zu tun sein, wenn dieser Krieg einmal zu Ende gegangen sein wird. Und
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