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Fahrt ohne Ende

Fahrt ohne Ende

Titel: Fahrt ohne Ende
Autoren: Arno Klönne
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der Familie erlöst.

     

Nachher, oben in seiner Bude, liegt Wolf nach alter Gewohnheit der Länge nach über seinem etwas wackeligen Tisch, Knie und Beine auf dem Stuhl, den Kopf in die Hände gestützt, und liest irgendeinen Karl May. Aber irgendwie sind der große Winnetou und seine tapferen Apatschen heute uninteressant. Wolf klappt den Schmöker zu und legt ihn unter das Kopfkissen seines Bettes. Dann geht er zu seinem Bücherbrett und zieht aus dem untersten Fach einen schmalen Band hervor, den er eigentlich sehr selten herausnimmt.
    Es ist ein Band Fahrtenfotos, den ihm sein Bruder geschenkt hat, ehe er zur Universität ging. Der Bruder ist tot, abgestürzt bei einer Bergtour im österreichischen Alpengebiet.
    Vorn in dem Band steht, quer über die Seite geschrieben: »Wir wollen Deine Jungen sein«, daneben ein kleines Foto: ein Wimpel mit dem Christuszeichen auf einem Berggipfel, umjagt von Wolkenfetzen. Darunter steht ein wenig kleiner: » Für Wolf zu Weihnachten 1937. Reinhard.«
    Wolf blättert langsam den Band durch, er braucht eigentlich gar nicht genau hinzusehen, denn er kennt die Fotos alle: hier eine Reihe von Affen, toll zusammengeworfen, eine Klampfe dazwischen, und Fahrtenmesser, Brotbeutel, eine große Karte und dahinter das weite offene Meer, nichts als Meer! »Adria« steht darunter. Oder dort das Foto: zwei Jungen, verstaubt und verschwitzt, Affen auf dem Rücken, Klampfe in der Hand, am Rande der Straße; in Sichtweite ein Lastwagen; Überschrift: »Ob er hält?« Dann die beiden letzten Fotos: auf der einen Seite ein weiter Hang und Zelte, viele Zelte, darüber wieder das Banner mit dem Christuszeichen, inmitten der Zelte lauter Jungen in gleicher Kluft: » Bund Neudeutschland « steht darüber.
    Und das letzte Foto: nur eine Straße, die sich irgendwo ins Unbekannte verliert. Darüber steht: » Unsere Fahrt geht fort bis ans Ende der Welt, sie ist nie zu Ende gebracht.«
    Wolf macht den Band‘ zu und legt ihn behutsam auf das Brett. Dann nimmt er sich die Schulbücher her. Aber es will heute nicht werden, »Ars Latina« ist heute nicht weniger langweilig als Karl May. Draußen lacht immer noch die Sonne, und auf einmal denkt Wolf an Jürgen und wie er heute mittag sagte: »Du, Wolf, übrigens..., ach nein, laß, ein andermal.«
    überhaupt, — Jürgen, denkt Wolf und freut sich darüber, daß er ihn morgen wieder sieht. Neulich, erinnert sich Wolf, ging Jürgen am Samstag nachmittag mit einem Affen auf dem Rücken zum Bahnhof; ob er wohl zum HJ.-Dienst ging? Das kann Wolf eigentlich gar nicht glauben. Er weiß ja auch, wie‘s bei der HJ. zugeht, wenn die ihren »Dienst« machen, und dazwischen Jürgen?
    Ach verflixt, er wollte doch Latein machen. Aber er kommt ja doch nicht weiter. Ist auch egal, heute.
    »Ist ja doch Mist«, sagt Wolf ziemlich vernehmlich und schleudert das Lateinbuch auf das Bücherbrett.
    »Was ist Mist?« sagt jemand und macht die Tür wieder hinter sich zu.
    »Was willst du Kamel denn hier«, ruft Wolf, aber das »Kamel« kommt schon etwas gepreßt heraus, denn wie er sich umdreht, springt er schnell auf, sagt: »Tag, Klaus« und gibt dem die Hand. »Mit ,Mist‘ war das Lateinbuch und mit ,Kamel‘ mein holdes Schwesterlein gemeint, das hier gern unbefugt eindringt«, erklärt er, »und dies ist meine Bude. Du warst ja noch nie hier oben, nicht?«
    »Nein, war ich nicht. Sieh mal an, sogar eine Klampfe?«
    »Jawohl, ist ja nicht wie bei armen Leuten«, und Wolf streicht fast zärtlich über die Saiten seiner Klampfe, die einmal Reinhards Klampfe war.
    »Das ist prima, Wolf, daß du ‘ne Klampfe hast. Du kannst doch spielen?« fragt Klaus und spricht, als er Wolfs beleidigte Miene sieht, schnell weiter: »Die Sache ist nämlich die, also, ja, wie soll ich dir das klarmachen, jedenfalls...«
    »Mann, seit wann stotterst du, was ist denn nun los?«
    »Ha, siehst du, das ist das Stichwort; es ist nämlich allerlei los bei uns, und da wollte, vielmehr sollte ich dich fragen, ob du nicht mitmachen willst in unserer Gruppe, kurz und gut: ich soll dich keilen.«
    So, das war heraus.
    »Nun sag bloß noch: fürs Jungvolk, und dann bist du draußen. Mir reicht‘s gerade, daß ich alle paar Wochen da schon mal für ‘ne Stunde antreten und still-stehen muß, nee, mein Lieber!« erklärt Wolf und ist einigermaßen erstaunt, daß sein sonst so beherrschter Klassenkamerad Klaus einen kleinen Tanz auf führt vor Freude, ihn vom Stuhl reißt und schreit:
    »Siehst du wohl,
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