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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451
Autoren: Ray Bradbury
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...«
    Granger stellte ab.
    »Ist dir auch aufgefallen, das Gesicht des Mannes war nie scharf eingestellt zu sehen. Selbst deine besten Freunde konnten nicht mit Sicherheit sagen, ob du es warst. Man ließ es gerade unscharf genug, um die Phantasie anzuregen. Höllisch«, sagte er leise. »Höllisch.«
    Montag erwiderte nichts, er saß da, den Blick starr auf den leeren Bildschirm geheftet.
    Granger faßte ihn an. »Willkommen aus dem Totenreich.« Montag nickte, und Granger fuhr fort: »Ich glaube, ich mache dich jetzt am besten mit allen bekannt. Dies hier ist Fred Clement, früher Inhaber eines Lehrstuhls für Literaturgeschichte an der Harvard-Universität, bevor ein Technikum für Atomenergie daraus wurde. Dies ist Dr. Simmons von der Universität von Kalifornien in Los Angeles, ein Ortega y Gasset-Forscher; Professor West hier hat allerhand geleistet auf dem Gebiet der Ethik, einem jetzt ausgestorbenen Fach, seinerzeit an der Columbia-Universität. Pfarrer Padover hier hat vor dreißig Jahren ein paar Vorträge gehalten, bis ihm von einem Sonntag auf den andern seine Gemeinde abhanden kam, seiner Ansichten wegen. So stromert er jetzt schon seit längerem mit uns umher. Was mich betrifft, ich habe ein Buch geschrieben über ›Die Finger im Handschuh; das richtige Verhältnis zwischen Einzelmensch und Gesellschaft‹, und hier bin ich! Willkommen, Montag!«
    »Ich gehöre nicht zu euch«, sagte Montag schließlich gedehnt. »Ich war ein Trottel, noch und noch.«
    »Das sind wir gewohnt. Wir haben alle Fehler gemacht, wie es sich gehört, sonst wären wir nicht hier. Als jeder noch für sich war, hatten wir nichts als unsere Wut. Ich wurde seinerzeit tätlich gegen einen Feuerwehrmann, als er kam, meine Bibliothek zu verbrennen. Seither bin ich auf der Flucht. Willst du bei uns mitmachen, Montag?«
    »Ja.«
    »Was hast du zu bieten?«
    »Nichts. Ich glaubte, ich hätte einen Teil des Predigers Salomo und vielleicht ein Stück der Offenbarung, aber auch das habe ich nicht mehr.«
    »Der Prediger wäre gut. Wo war das Buch?«
    »Hier.« Montag deutete auf seine Stirn.
    »Aha.« Granger nickte lächelnd.
    »Wieso? Ist das nicht recht?« fragte Montag.
    »Mehr als recht; ausgezeichnet!« Granger wandte sich an den Geistlichen. »Haben wir einen Prediger Salomo?«
    »Ein Exemplar. Ein Mann namens Harris aus Youngtown.«
    »Montag.« Granger faßte ihn fester an der Schulter. »Sieh zu, daß du gesund bleibst. Falls Harris etwas zustoßen sollte, bist du der Prediger. Siehst du, wie wichtig du im letzten Augenblick geworden bist.«
    »Aber ich habe doch alles vergessen.«
    »Nein, nichts geht je verloren. Es gibt Mittel und Wege, es wieder heraufzubaggern.«
    »Aber ich habe mich doch bemüht, es mir wieder ins Gedächtnis zu rufen.«
    »Gib dir keine Mühe. Wenn wir es brauchen, kommt es von selber. Wir haben alle ein fotografisches Gedächtnis, nur daß wir ein Leben lang das Tor zu dem, was darin ist, mit Teufels Gewalt verklemmen. Simmons hier hat sich zwanzig Jahre lang damit beschäftigt, und jetzt haben wir das Verfahren soweit entwickelt, daß wir alles, was einmal gelesen wurde, wieder ins Gedächtnis zurückrufen können. Möchtest du bei Gelegenheit einmal Platos ›Staat‹ lesen, Montag?«
    »Gewiß.«
    »Ich bin Platos ›Staat‹. Möchtest du Mark Aurel lesen? Simmons ist Mark Aurel.«
    Simmons machte eine Verbeugung.
    »Sehr erfreut«, sagte Montag, und Granger fuhr fort:
    »Darf ich vorstellen: Jonathan Swift, der Verfasser dieses garstigen politischen Traktats, ›Gullivers Reisen‹. Und hier ist Charles Darwin, und hier Schopenhauer, und hier haben wir Einstein, und hier an meiner Seite ist Dr. Albert Schweitzer, der menschenfreundlichste Philosoph, der je gelebt hat. Da wären wir also, Montag. Aristophanes und Mahatma Gandhi und Gautama Buddha und Konfuzius und Thomas Love Peacock und Thomas Jefferson und Abraham Lincoln, falls gefällig. Nebenbei sind wir auch Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.«
    Alle lachten sie vor sich hin.
    »Das kann doch nicht sein«, staunte Montag.
    »Es ist aber«, versetzte Granger mit einem Lächeln. »Auch wir sind Bücherverbrenner. Wir haben die Bücher gelesen und sie dann verbrannt, aus Angst, sie könnten gefunden werden. Sie auf Mikrofilm aufzunehmen, hat sich als untunlich erwiesen. Wir waren immer unterwegs und wollten den Film nicht vergraben und später wieder herkommen. Man hätte uns dabei ertappen können. So bewahren wir die Dinge eben im Kopf auf,
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