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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451
Autoren: Ray Bradbury
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wo sie niemand sieht oder vermutet. Wir bestehen aus lauter Bruchstücken von Geschichte und Literatur und Völkerrecht, Byron, Tom Paine, Machiavelli oder Christus, alles vorhanden. Und höchste Zeit dazu. Der Krieg ist ausgebrochen. Wir sind hier draußen, und dort ist die Stadt, hübsch eingewickelt in ihren kunterbunten Mantel. Woran denkst du, Montag?«
    »Ich dachte gerade, wie kurzsichtig es von mir war, auf eigene Faust vorzugehen, Bücher in fremde Häuser einzuschmuggeln und dann Anzeige zu erstatten.«
    »Du hast getan, was du mußtest. In großem Maßstab durchgeführt, hätte es vielleicht Wunder gewirkt. Aber unser Vorgehen ist einfacher und, wie wir glauben, besser. Wir haben es bloß darauf angelegt, uns die Kenntnisse, die wir einmal benötigen werden, zu sichern und zu erhalten. Vorläufig gehen wir noch nicht darauf aus, irgend jemand aufzuwiegeln oder Ärgernis zu erregen. Wenn wir vernichtet werden, stirbt das Wissen mit uns aus, vielleicht ein für allemal. Auf unsere Art sind wir vorbildliche Staatsbürger: Wir ziehen die alten Gleise entlang, nächtigen in den Bergen, und die Städter lassen wir in Frieden. Gelegentlich werden wir angehalten und durchsucht, aber wir tragen nichts auf uns, was uns gefährlich werden könnte. Die Organisation ist sehr locker und anpassungsfähig. Einige von uns haben sich Gesicht und Fingerabdruck operativ verändern lassen. Gegenwärtig haben wir eine fürchterliche Aufgabe; wir warten, bis der Krieg hereinbricht und ebenso rasch wieder vorbei ist. Das ist nicht erquicklich, aber was willst du, wir sind nur eine überzählige Minderheit, die Rufer in der Wüste. Wenn der Krieg vorbei ist, können wir der Welt vielleicht von Nutzen sein.«
    »Glaubt ihr wirklich, daß man dann auf euch hört?«
    »Andernfalls warten wir eben noch. Wir geben die Bücher – mündlich – an unsere Kinder weiter, und dann mögen die Kinder ihrerseits sich der Welt nützlich erweisen. Natürlich geht auf diese Art viel verloren. Aber man kann die Leute nicht zum Zuhören zwingen. Sie müssen sich mit der Zeit von selber einfinden, wenn sie anfangen, sich darüber Gedanken zu machen, warum ihre Welt in die Luft geflogen ist. Einmal muß es ja dazu kommen.«
    »Wie viele euresgleichen gibt es denn?«
    »Tausende auf den Straßen und Bahngleisen, nach außen hin Landstreicher, inwendig eine Bibliothek. Es war zuerst nicht geplant. Jeder hatte ein Buch, das er nicht vergessen wollte, und so lernte er es eben auswendig. Dann, im Laufe von zwanzig Jahren oder so, wurden wir unterwegs miteinander bekannt und schlossen uns zu einem lockeren Bund zusammen und stellten einen Plan auf. Das Wichtigste indessen, das wir uns einhämmern mußten, war das Bewußtsein unserer Unwichtigkeit; es durfte keine Gelehrteneitelkeit aufkommen, wir durften uns nicht über andere erhaben fühlen. Schließlich sind wir nichts als Schutzumschläge für Bücher, im übrigen aber belanglos. Einige von uns wohnen in Kleinstädten. Thoreaus ›Walden‹, Erstes Kapitel in Green River, Zweites Kapitel in Willow Farm, Maine. Da gibt es doch in Maryland eine Ortschaft, siebenundzwanzig Seelen insgesamt, keine Bombe wird sie je heimsuchen, da sind die gesammelten Aufsätze eines gewissen Bertrand Russell zu Hause, man kann den Ort gewissermaßen wie ein Buch zur Hand nehmen und umblättern, auf jeden Bewohner so und soviel Seiten. Und eines schönen Tages, wenn der Krieg überstanden ist, dann können die Bücher wieder geschrieben werden. Die Leute werden einberufen werden, einer nach dem andern, um herzusagen, was sie sich einverleibt haben, und dann geht es wieder in Druck, bis zur nächsten Kulturdämmerung, wo wir vielleicht mit der ganzen vertrackten Sache nochmals von vorn anfangen müssen. Das ist ja gerade das Wunderbare am Menschen, er läßt sich nie in dem Maße entmutigen und verbiestern, daß er jemals aufhörte, wieder von vorn anzufangen, weil er genau weiß, es lohnt sich.«
    »Was tun wir heute?« wollte Montag wissen.
    »Warten«, erwiderte Granger. »Und etwas weiter flußabwärts ziehen, für alle Fälle.«
    Er begann, Erde auf das Feuer zu schütten.
    Die andern halfen mit, und Montag half mit, und da wurde nun in der Wildnis gemeinsam Hand angelegt, das Feuer zu löschen.
     
    Sie standen am Fluß in sternklarer Nacht.
    Montags Blick fiel auf das Leuchtzifferblatt seiner wasserdichten Uhr. Fünf. Fünf Uhr früh. Schon wieder ein Jahr vorübergetickt in einer einzigen Stunde, und drüben hinter
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