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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451
Autoren: Ray Bradbury
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wohlvertraute Dinge klammern, und alle schrien sie laut, um das Trommelfell vor dem Zerbersten zu bewahren, um den Verstand vor dem Zerbersten zu bewahren, mit offenem Mund. Montag schrie mit, aufbegehrend gegen den Wind, der ihnen an den Lippen zerrte und Nasenbluten verursachte.
    Dann sah Montag zu, wie der Staub sich setzte und eine große Stille sich auf ihre Welt herabsenkte. Er lag da und ihm war, als sehe er jedes einzelne Staubkorn und jeden Grashalm und höre jeden Laut, jedes Raunen jetzt auf der Welt. Stille senkte sich herab mit dem Staubgeriesel und all der Muße, die sie wohl brauchten, um sich umzusehen und die Wirklichkeit dieses Tages in ihre Sinne aufzunehmen.
    Montag sah zum Fluß. Wir werden auf dem Fluß fahren. Er sah zu den alten Bahngleisen. Oder wir gehen dort entlang. Oder vielleicht gehen wir jetzt auf den Landstraßen, und wir werden Zeit haben, uns die Dinge einzuverleiben. Und eines Tages, wenn sich inwendig alles gründlich gesetzt hat, geht es vielleicht aus den Händen oder aus dem Mund wieder hervor. Und eine Menge wird falsch sein, aber gerade genug davon wird richtig herauskommen. Heute ziehen wir einfach weiter, um zu sehen, wie die Welt aussieht, wie sie geht und steht. Alles will ich jetzt sehen. Wenn es in mich hineingeht, gehört zwar noch nichts davon zu mir selbst, aber nach einiger Zeit schließt sich inwendig alles zusammen, und dann gehört es zu mir selbst. Schau dir die Welt dort draußen an, du mein Gott, schau sie dir an dort draußen, vor deiner Nase, und die einzige Möglichkeit, überhaupt an sie heranzukommen, ist, sie dorthin zu tun, wo sie schließlich zu mir gehört, zu meinem eigenen Fleisch und Blut. Ich will sie mir aneignen, daß sie mir nie wieder entrinnt. Ich will sie mir einverleiben, mit einem Finger rühre ich bereits daran, das ist ein Anfang.
    Der Wind legte sich.
    Die andern blieben noch liegen, am morgendlichen Rand des Schlafes, nicht gewillt, sich schon zu erheben und den Alltagspflichten nachzugehen, dem Feuermachen und Nahrungsuchen, der tausendfachen Nötigung, einen Fuß vor den andern zu setzen und eine Hand über die andere. Sie lagen da und zwinkerten mit betäubten Lidern. Man konnte sie atmen hören, erst rasch, dann langsamer, dann langsam ...
    Montag richtete sich auf.
    Weiter rührte er sich jedoch nicht. Die andern taten desgleichen. Am schwarzen Horizont schob sich ein dünner roter Streif hervor. Die Luft war kalt, etwas darin verhieß Regen.
    Schweigend stand Granger auf, befühlte Arme und Beine, wobei er vor sich hinfluchte, ständig leise vor sich hinfluchte. Tränen tropften ihm vom Gesicht. Er schlurfte ans Ufer hin, um flußaufwärts zu schauen.
    »Alles flach«, sagte er nach langer Zeit. »Die Stadt sieht aus wie ein Haufen Backpulver. Alles weg.« Und wiederum nach langer Zeit: »Wie viele haben es wohl kommen sehen? Wie viele wurden wohl überrascht?«
    Und in der ganzen weiten Welt, dachte Montag, wieviel andere Städte waren wohl tot? Und hier in unserem Land, wie viele? Hundert, tausend?
    Jemand riß ein Streichholz an und hielt es an ein Stück trockenes Papier aus einer Tasche und schob es unter etwas Gras und Laub, und nach einer Weile tat er dünne Zweige dazu, die feucht waren und sprühten, aber schließlich doch Feuer fingen, und das Feuer wurde größer in der Morgenfrühe, als die Sonne heraufkam und die Männer sich allmählich vom Anblick flußaufwärts trennten.
    Granger wickelte etwas Speck aus einer Ölhaut. »Wir wollen etwas essen. Dann machen wir kehrt und gehen flußaufwärts. Man wird uns dort brauchen.«
    Jemand kramte eine kleine Bratpfanne hervor, der Speck kam hinein, und die Pfanne wurde über das Feuer gestellt. Bald begann der Speck zu brutzeln und zu hüpfen und erfüllte die Luft mit seinem Aroma. Schweigend sahen die Männer der feierlichen Handlung zu.
    Granger blickte ins Feuer. »Phönix.«
    »Wie?«
    »So ein alberner Vogel, ein sogenannter Phönix, den es früher mal gab: Alle paar Jahrhunderte baute er sich einen Scheiterhaufen und verbrannte sich selber. Muß ein naher Verwandter des Menschen gewesen sein. Aber jedesmal, wenn er sich verbrannte, entsprang er neugeboren wieder der Asche. Es hat den Anschein, als machten wir es ebenso, immer wieder, nur in einem sind wir dem Phönix voraus. Wir wissen, was wir da eben für einen Stumpfsinn angestellt haben. Wir wissen alles, was wir seit tausend Jahren an Stumpfsinn angestellt haben, und solange wir das wissen und es uns immer wieder
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