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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451
Autoren: Ray Bradbury
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auch nicht die leiseste Regung entging. In einem weißen, knisternden Kleid kam das Mädchen einher. Montag glaubte beinahe das Armeschlenkern zu hören und jetzt das unendlich leise Geräusch der Kopfbewegung, als das Mädchen merkte, daß da mitten auf dem Gehsteig ein Mann stand und es musterte.
    In den Bäumen droben rauschte es gewaltig von dem trockenen Regen, den sie ausschütteten. Das Mädchen schien einen Augenblick zurückweichen zu wollen, doch statt dessen blieb es stehen und schaute ihn an, mit Augen so dunkel und glänzend und voller Leben, daß er das Gefühl hatte, etwas ganz Wunderbares gesagt zu haben. Dabei wußte er, daß es nur ein ›hallo‹ gewesen war, und erst als das Mädchen von dem Salamander auf seinem Ärmel und der Phönixplakette am Rock gebannt schien, begann er zu sprechen.
    »Ach ja«, sagte er, »du bist doch die neue Nachbarin?«
    »Und Sie sind sicher« – es erhob den Blick von seinen Berufsabzeichen – »der Feuerwehrmann.« Die Stimme verlor sich.
    »Wie sonderbar du das sagst.«
    »Ich – ich hätte es sagen können, ohne die Augen aufzumachen«, erklärte das Mädchen bedächtig.
    »Warum? Weil ich nach Kerosin rieche? Meine Frau klagt ständig darüber«, lachte er. »Der Geruch läßt sich nie völlig abwaschen.«
    »Nein«, sagte es, mit einem leisen Grauen.
    Ihm war, als ob ihn das Mädchen in Gedanken umkreise, als ob es ihm das Innerste nach außen kremple, ohne sich selber von der Stelle zu rühren.
    »Kerosin«, sagte er dann, als sich das Schweigen in die Länge zog, »Kerosin ist für mich der reine Wohlgeruch.«
    »Kommt es Ihnen wirklich so vor?«
    »Gewiß. Warum nicht?«
    Das Mädchen ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich weiß auch nicht.« Dann wandte es sich um, nach der Richtung, in der sie wohnten. »Darf ich mit Ihnen zurückgehen? Ich heiße Clarisse McClellan.«
    »Clarisse. Guy Montag. Komm nur. Was tust du hier draußen so spät noch? Wie alt bist du eigentlich?«
    Sie gingen in der warm-kühl wehenden Nacht die übersilberte Straße entlang, und in der Luft lag auf einmal ein ganz feiner Hauch von frischen Aprikosen und Erdbeeren; er sah sich um und merkte, daß das ganz ausgeschlossen war, zu so vorgerückter Jahreszeit.
    Nun war es nur noch das Mädchen, das neben ihm herging, das Gesicht leuchtend wie Schnee im Mondschein, und er ahnte, daß es sich seine Fragen durch den Kopf gehen ließ, um die beste Antwort darauf zu finden.
    »Nun«, sagte es dann, »ich bin siebzehn und nicht ganz bei Trost. Mein Onkel meint, das gehöre immer zusammen. Wenn man dich nach deinem Alter fragt, meinte er, sag immer, siebzehn und von Sinnen. Es ist doch hübsch, um diese Stunde spazierenzugehen, in der Welt herumzuschnuppern und herumzugucken. Manchmal laufe ich die ganze Nacht umher und schaue dann zu, wie die Sonne aufgeht.«
    Wiederum trat eine Pause ein, und zuletzt sagte das Mädchen nachdenklich: »Wissen Sie, ich habe vor Ihnen gar keine Angst.«
    Er war verdutzt. »Weshalb solltest du Angst haben?«
    »Viele Leute haben Angst. Vor der Feuerwehr, meine ich. Aber Sie sind eigentlich ganz menschlich ...«
    Er erblickte sich in den Augen des Mädchens wie in zwei hellen Wassertropfen schwebend, er selber dunkel und winzig, mit allen Einzelheiten, den Furchen um den Mund, alles ganz deutlich, als wären diese Augen zwei wundersame Stücke veilchenfarbenen Ambers, der ihn umschließen und verewigen könnte. Das Gesicht, das Clarisse ihm jetzt zuwandte, strahlte ein sanftes und beständiges Licht aus. Es hatte nicht das Krampfhafte des elektrischen Lichts – was war es nur? Das seltsam trauliche und dünne und sachte liebkosende Licht der Kerze. Einstmals, als er noch ein Kind war, hatte seine Mutter bei einer Stromsperre eine letzte Kerze gefunden und angezündet, und für eine kurze Stunde hatten sie es wiederentdeckt, wie bei solcher Beleuchtung der Raum behaglich um sie zusammenschnurrte, und beide, Mutter und Sohn, waren wie verwandelt gewesen, hatten gehofft, der Strom möge nicht so bald wieder einsetzen. Und dann sagte Clarisse McClellan:
    »Darf ich Sie etwas fragen? Wie lange dienen Sie schon bei der Feuerwehr?«
    »Seit ich zwanzig wurde, vor zehn Jahren.«
    »Lesen Sie jemals welche von den Büchern, die Sie verbrennen?«
    Er lachte. »Das ist doch verboten!«
    »Ach so, ja.«
    »Es ist ein schöner Beruf. Montag brenne Milley, Mittwoch Melville, Freitag Faulkner, brenne sie zu Asche, dann verbrenne noch die Asche. Das ist unser
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