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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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um zu sagen: Zerfall, laß keinen Stein auf dem andern, stirb und verdirb!
    In Gedanken, ohnmächtig die Hände emporreckend, hielt Montag die Bomben einen einzigen Augenblick am Himmel droben an. »Lauf!« schrie er Faber zu. Und zu Clarisse: »Lauf!« Zu Mildred: »Rette dich!« Clarisse allerdings, fiel ihm ein, war schon tot. Und Faber war ja aus der Stadt heraus; irgendwo in der weiten Landschaft war der Fünf-Uhr-Bus unterwegs von einer Trümmerstätte zur andern. Wenn auch die Vernichtung noch nicht stattgefunden hatte, noch in der Luft schwebte, war sie doch nach menschlichem Ermessen unabwendbar. Ehe noch der Bus auf der Landstraße fünfzig Meter weiter war, hatte sein Bestimmungsort keinen Sinn mehr, und sein Abgangsort war aus einer Weltstadt zu einem Schutthaufen geworden.
    Rette dich, lauf!
    Er sah sie vor sich, in ihrem Hobelzimmer irgendwo, in der halben Sekunde, die noch verblieb. Gegen die großen schimmernden Wände, so bunt und belebt, sah er sie geneigt, die Wände, auf denen die Familie zu ihr redete und redete und redete, die Wände, auf denen die Verwandtschaft plauderte und plapperte und ihren Namen nannte und ihr zulächelte und nichts sagte von der Bombe, die nur ein paar Zentimeter vom Dach des Hobels entfernt war. In die Wand versenkt sah er sie, als könnte ihr Schaubedürfnis dort den Grund ihrer Ruhelosigkeit finden. Gierig und gespannt in die Wand versenkt, als wollte Mildred sich in dieses wimmelnde Meer von Farben stürzen und in seinem grellen Glück untergehen.
    Die erste Bombe schlug ein.
    »Mildred!«
    Vielleicht, wer konnte das je wissen, vielleicht waren es die großen Rundfunksender mit all ihrer ausgestrahlten Buntheit und Beredsamkeit, die als erste verstummten.
    Während es ihn hinwarf, sah oder fühlte Montag, oder glaubte wenigstens zu sehen, oder zu fühlen, wie die Wände sich vor Millies Nase verdunkelten, er hörte ihren Aufschrei, als sie in dem unendlich kleinen Bruchteil an Zeit, ehe alles zu Ende war, ihr eigenes Gesicht widergespiegelt sah, und es war ein so verzweifelt leeres Gesicht, als einziges im ganzen Zimmer, ohne Zusammenhang mit irgend etwas, ausgehungert und von sich selber zehrend, daß sie es zuletzt als das ihre erkannte und rasch aufschaute zur Decke, als diese mit dem ganzen Bauwerk darüber auf sie herabgestürzt kam.
    Ich weiß es wieder. Montag lag flach auf dem Boden. Ich weiß es wieder. Chicago. Chicago, vor langen Jahren. Millie und ich. Da haben wir uns kennengelernt! Jetzt weiß ich es wieder. Chicago. Vor langen Jahren.
    Der Luftdruck fegte über den Fluß und diesen entlang und legte die Männer um wie eine Reihe Dominosteine, schleuderte den Gischt empor und wirbelte den Staub auf und hinterließ in den Baumkronen ein Stöhnen, als der Wind nach Süden abstrich. Montag krallte sich am Boden an, preßte sich zusammen, die Augen fest geschlossen. Ein einzigesmal zwinkerte er. Und dabei sah er die Stadt, statt der Bomben, in der Luft. Sie hatten den Platz gewechselt. Einen unwahrscheinlichen Augenblick lang stand die Stadt, neu erbaut und unkenntlich, höher als sie je hatte sein wollen, höher als der Mensch sie gebaut hatte, letzten Endes aus Klumpen von zertrümmertem Beton und Funken von zerrissenem Stahl aufgeschichtet zu einem Fresko, das wie eine umgekehrte Lawine herabhing, kunterbunt und kraus durcheinander, mit einer Tür, wo ein Fenster hätte sein sollen, einem Dach an Stelle des Bodens, einer Vorderseite, wo die Rückseite hingehörte, und dann sackte die Stadt zur Seite und fiel tot zusammen. Das Todesröcheln kam erst später.
    Montag lag da, die tränenden Augen verklebt, den Zement des Staubes im Mund, der jetzt geschlossen war, und dachte atemlos: Ich weiß es wieder, ich weiß es wieder, und noch etwas anderes weiß ich auch wieder. Was war es nur? Doch, doch, ein Teil des Predigers Salomo und der Offenbarung. Ein Teil jenes Buches, ein Teil davon, rasch jetzt, rasch, ehe es vergeht, ehe der Schrecken verfliegt, ehe der Wind einschläft. Der Prediger Salomo. Also doch. Er sagte sich die Worte innerlich vor, dicht an die bebende Erde geschmiegt, er wiederholte den Text viele Male, und der Wortlaut war da, ohne daß er sich mühte, und nirgends kam etwas von Zanders Zahnpasta darin vor, es war nur der Prediger ganz allein, der da innerlich vor ihm stand und ihn anschaute.
    »Na also«, sagte eine Stimme.
    Japsend wie Fische auf dem Trockenen lagen die Männer da. Sie klammerten sich an die Erde, wie Kinder sich an

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