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Fahrenheit 451

Fahrenheit 451

Titel: Fahrenheit 451
Autoren: Ray Bradbury
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hängen einfach herab, oder dann liegen sie in ihrem Schoß oder halten eine Zigarette, aber das ist alles.«
    Montag drehte sich um und schaute zurück.
    »Was hast du der Stadt gegeben, Montag?«
    »Asche.«
    »Was haben die andern einander gegeben?«
    »Nichts.«
    Gemeinsam blieben sie stehen und schauten zurück. »Ein Mensch muß bei seinem Tod etwas dalassen, sagte mein Großvater. Ein Kind oder ein Buch oder ein Bild, ein Haus oder wenigstens eine Mauer, die er gebaut, oder ein Paar Schuhe, das er geschustert. Oder einen Garten, den er angelegt hat. Irgend etwas, das deine Hand anrührte, so daß deine Seele eine Bleibe hat, wenn du stirbst, und wenn die Leute den Baum oder die Blume, die du gepflanzt hast, anschauen, dann bist du da. Ganz gleich, was man tut, meinte er, solange man etwas von seinem eigenen Wesen in irgend etwas hineinsteckt. Darin liegt der Unterschied zwischen einem, der bloß den Rasen mäht, und einem wirklichen Gärtner. Der Rasenmäher könnte ebensogut gar nicht dagewesen sein; der Gärtner wird ein Leben lang da sein.«
    Granger ließ ihn los: »Mein Großvater führte mir einst vor fünfzig Jahren ein paar V-2-Raketenfilme vor. Hast du je einen Atombombenpilz gesehen, aus einer Höhe von dreihundert Kilometern? Er ist nur ein Fliegenpunkt, ein Nichts. Mit der Wildnis ringsum.
    Mein Großvater führte den V-2-Raketenfilm ein dutzendmal vor, in der Hoffnung, unsere Städte würden sich eines Tages entfalten und das grüne Land und die Wildnis mehr hereinlassen, um dem Menschen anschaulich zu machen, daß uns auf Erden nur wenig Raum zugeteilt ist, daß wir unser Leben inmitten dieser Wildnis fristen, die wieder einfordern kann, was sie uns abgetreten hat, die uns nur anzuhauchen oder das Meer zu schicken braucht, um uns zu bedeuten, wie klein wir sind. Wenn wir vergessen, wie nahe die Wildnis ist in der Nacht, sagte mein Großvater, dann wird sie eines Tages kommen und uns holen, weil wir keine Ahnung mehr haben, wie fürchterlich und wirklich sie sein kann. Siehst du?« Granger wandte sich ihm zu. »Großvater ist seit Jahren tot, aber wenn man meine Schädeldecke abhöbe, bei Gott, in den Windungen meines Gehirns fände man deutlich die Rillen seines Daumenabdrucks. Er hat mich angerührt. Bildhauer war er, wie bereits bemerkt. ›Was ich hasse‹, pflegte er zu sagen, ›ist ein Römer namens Status quo. Staunt euch die Augen aus dem Kopf‹, sagte er jeweils, ›lebt, als hättet ihr nur noch zehn Sekunden zu leben. Seht euch die Welt an. Sie ist phantastischer als irgendein fabrikmäßig hergestellter Traum. Verlangt keine Sicherheit, das hat es in unserer Tierwelt überhaupt nie gegeben. Und wenn es sie gäbe, gliche sie dem Faultier, das tagaus, tagein mit dem Kopf nach unten im Geäst hängt und sein Leben veschläft. Zum Teufel damit‹, sagte er, ›schüttelt am Baum, daß das Faultier herunterpurzelt auf seinen breiten Hintern.‹«
    »Schau!« rief Montag.
    Und in diesem Augenblick ging der Krieg an und zu Ende.
    Später hätten die andern nicht sagen können, ob sie wirklich etwas gesehen hatten. Höchstens einen rasch aufzuckenden Schein am Himmel. Vielleicht waren dort die Bomben und die Düsenflugzeuge, fünfzehn Kilometer, zehn Kilometer, einen Kilometer hoch, den Bruchteil einer Sekunde, wie Körner, von einer gewaltigen Hand über den Himmel hingesät, und die Bomben fuhren mit furchtbarer Schnelle, und doch plötzlich verlangsamt, auf die dämmrige Stadt hinunter, die sie hinter sich gelassen. Eigentlich war die Verbombung schon geschehen, sobald die Flugzeuge ihr Ziel gesichtet und die Bomben ausgelöst hatten, bei einer Geschwindigkeit von siebentausend Stundenkilometern; rasch, wie der Schwung einer Sense, war der Krieg aus. War einmal aufs Knöpfchen gedrückt und die Bombenlast abgeworfen, so war auch schon alles vorbei. Volle drei Sekunden, eine Ewigkeit, ehe die Bomben einschlugen, waren die gegnerischen Flugzeuge einmal selber bereits wieder halb um die sichtbare Welt herum, wie Geschosse, an die ein Wilder noch nicht glauben würde, da sie unsichtbar sind; und doch wird auf einmal das Herz zerschmettert, der Körper fällt auseinander, das Blut ist erstaunt, ins Freie zu gelangen; das Gehirn verschleudert seine paar kostbaren Erinnerungen und stirbt verständnislos.
    Dies war nicht zu glauben. Es war lediglich eine Handbewegung. Montag sah eine mächtige Metallfaust über der fernen Stadt fuchteln und ahnte das Gellen der Düsenbomber, das hinterherkam, wie
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