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Fahr zur Hölle Mister B.

Fahr zur Hölle Mister B.

Titel: Fahr zur Hölle Mister B.
Autoren: Clive Barker
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unendlich höher entwickelt als ich. Als sie mich ansahen, spürte ich ihre Blicke wie einen brutalen Schlag auf jede Stelle meines Körpers gleichzeitig, selbst auf die Fußsohlen. Die erbarmungslosen Blicke hörten so schnell auf, wie sie angefangen hatten. Das hätte mir Linderung bringen sollen, doch im Einklang mit der paradoxen Natur des gesamten Raumes zogen ihre abgewendeten Blicke eine gänzlich neue Form von Schmerzen nach sich, wie man sie empfindet, wenn die Qualen, die einem ein höheres Wesen zufügt, endlich nachlassen und jeder Zusammenhang damit entfernt wird.
    Doch meine Gegenwart hier war nicht so unwichtig, wie die abgewendeten Blicke vielleicht andeuten mochten. Denn jetzt brach am Tisch ein Streit darüber aus, ob meine Anwesenheit als Beweis für eine Verschwörung gegen Gutenberg oder seine Erfindung zu werten sei, und wenn ja, von welcher Seite. Niemand machte sich die Mühe und fragte mich nach meiner Version. Sie waren nur besorgt darüber, dass ich Zeuge der Komplizenschaft von Himmel und Hölle geworden war. Ob ich nur das offensichtliche Geheimnis erfahren hatte oder Teil einer groß angelegten Verschwörung gegen die Sicherheit des Geheimnisses darstellte, war irrelevant für sie. Ich musste zum Schweigen gebracht werden. Uneinigkeit herrschte anscheinend nur darin, wie weiter mit mir zu verfahren sei.
    Ich wusste, dass ich jetzt das Problem darstellte, das zur Diskussion stand, denn hin und wieder bekam ich das Bruchstück eines Dialogs mit, in dem es um mich und mein Schicksal ging.
    »Hier drinnen sollte kein Blut vergossen werden«, bestimmte der Engel Hannah.
    Später hörte ich jemanden – war es der Dämon, den ich als Peter kannte? – diese Meinung äußern:
    »Eine Hinrichtung wäre nicht gerechtfertigt. Er hat nichts getan.«
    Danach von allen Seiten Gegenargumente, in denen immer wieder zwei Worte vorkamen: Die Druckerpresse! Die Druckerpresse! Die Druckerpresse! Und je öfter die Worte wiederholt wurden, desto höher kochten die Gefühle, und darum wurde die Art und Weise, wie sie sich ausdrückten, zunehmend unnatürlicher. Der Tumult in dem Raum nahm die Formen einer Kakofonie an, die so laut dröhnte, dass mir der Schädel zu platzen drohte.
    Doch über den Höllenlärm hinweg vernahm ich deutlich eine menschliche Stimme, deutlicher als alle anderen, mächtigeren Stimmen, und das nur, weil es die Stimme eines Menschen war: rau und unverstärkt. Es war Gutenberg. Erst später begriff ich, was er sagte, dass er einem bestimmten Verwendungszweck nicht zustimmte, dem seine Druckerpresse, mit der er die Kunde von der Erlösung verbreiten wollte, zugeführt werden sollte.
    Doch keines seiner Argumente brachte die erhitzte Diskussion am Tisch zum Verstummen. Sie schwoll an und ab, bis sie mit einem Mal doch schlagartig aufhörte. Jemand hatte einen Vorschlag gemacht, der offenbar die Zustimmung der Versammelten fand. Sie waren zu einer Entscheidung gekommen. Mein Schicksal war besiegelt.
    Es hätte keinen Sinn gehabt, von diesem Tribunal Gnade zu erflehen, so es denn ein Tribunal war. Wesenheiten, die sich keinen Deut für mich oder meine Ansicht interessierten, urteilten über mich. Sie wollten mich einfach ohne Blutvergießen zum Schweigen bringen.
    In der Mitte dieser verworrenen Verhandlungen erfolgte eine wirbelnde Bewegung: Etwas braute sich zusammen, erstrahlte hell. Ich hatte keinen ersichtlichen Grund zu der Annahme, dachte mir aber, dass dies das letzte Feuer meines Lebens sein könnte, das jeden Moment …
    nein, jetzt …
    entfesselt wurde.
    Ich sah zu Quitoon, während die Helligkeit zunahm; sein Gesicht zeigte längst nicht mehr die Freude, dass ich am Leben war … dieses bezaubernde Lächeln, für das ich liebend gern zehn weitere Verletzungen auf mich genommen hätte, nur um es noch einmal zu sehen.
    Doch jetzt war es zu spät für ein Lächeln, zu spät für Vergebung. Die verworrenen Wortwechsel der Verhandlungen waren fast verstummt, die Flamme in ihrem Herzen wuchs dagegen stetig an und zog Hitzefünkchen der anderen Engel und Dämonen in der Kammer an.
    Dann befreite sie sich und raste auf mich zu.
    Im selben Moment löste sich die Tür, hinter der ich mich versteckt hatte, zusammen mit der Zarge und mehreren der makellosen Steinquader um sie herum in einem eigenen Feuer auf. Vollkommen schutzlos stand ich vor dem Feuer, das sich mir aus der Mitte der Verhandlungspartner näherte.
    Es regnete in gleißenden Schleiern auf mich herab. Ich hatte keine
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