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Fahr zur Hölle Mister B.

Fahr zur Hölle Mister B.

Titel: Fahr zur Hölle Mister B.
Autoren: Clive Barker
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– und dabei schwollen ihre Köpfe grotesk an, bis die Strecke zwischen ihren Haaransätzen und Kinnen gut und gerne einen halben Meter betrug und mit jedem Herzschlag größer wurde. Doch während ihre Köpfe diese absurden Proportionen annahmen, wurden sie gleichzeitig schmaler, bis ich mit meinen schmerzenden Augen den Eindruck hatte, dass sie kaum mehr als zwei oder drei Zentimeter breit waren und ihre Nasenspitzen sich nicht mehr als eine Fingerbreite voneinander entfernt befanden. Die Worte, die sie ausstießen, kamen wie Rauchwölkchen aus den grotesk verzerrten Mündern, keine zwei in derselben Farbe, die aufstiegen und eine Wolkenschicht toter Sprache unter der Decke bildeten. Doch während dieses bizarre Schauspiel seinen Lauf nahm – ich habe Sie gewarnt, dass sich dies wenigstens teilweise wie das Gestammel eines Irren anhören würde –, meldeten mir meine Augen gleichzeitig, dass die beiden nach wie vor unverändert auf ihren Stühlen saßen.
    Ich habe keine Erklärung dafür und verstehe auch nicht, weshalb mein Gehirn, nachdem ich diesem vehementen Schlagabtausch zwischen beiden einige Minuten zugehört hatte, ohne ein Wort zu verstehen, plötzlich Bruchstücke des Dialoges entschlüsselte. Es war kein müßiges Geplauder, wie sich wohl von selbst versteht, aber sie stießen auch keine eskalierenden Drohungen gegeneinander aus. Allmählich wurde mir klar, dass ich hier geheimsten Verhandlungen beiwohnte. Engel und Dämon, deren Arten einst in himmlischer Liebe vereint und mittlerweile zu Todfeinden geworden waren. Reimte ich mir jedenfalls zusammen. Sie hassten einander so sehr, hatte man mich gelehrt, dass eine Aussöhnung außer Frage stand. Doch hier standen sie – Widersacher, die einander so gut kannten, dass man sie fast Freunde nennen konnte – und bemühten sich, die Kontrolle über diese neue Macht zu verteilen, die, wie sie alle wussten, von allergrößter Bedeutung war, auch wenn sie das Gegenteil behaupteten. Die Druckerpresse würde die Welt tatsächlich verändern, und jede Seite wollte für sich den Löwenanteil ihrer Schöpfungen und ihres Einflusses. Hannah wollte, dass alle heiligen Bücher den Engeln zustanden, doch darauf wollte sich der Erzbischof so wenig einlassen wie Hannah bereit war, auf Druckerzeugnisse zu verzichten, die sich mehr auf die erotischen Neigungen der Menschheit bezogen.
    Sie stritten sich überwiegend um Druckerzeugnisse, von denen ich noch nie gehört hatte: Romane und Magazine, wissenschaftliche Fachzeitschriften und politische Traktate; Handbücher, Ratgeber und Lexika. Sie feilschten wie zwei unserer Art, die bei einem Händler Pferdefleisch erstehen möchten, und ihre Gebote kamen immer schneller, je mehr eine Einigung in greifbare Nähe rückte, einigten sich jedoch nur auf etwas, wenn dafür an anderer Stelle wieder etwas zurückgenommen oder aufgegeben wurde. Keine hochtrabenden, ehrbaren Prinzipien formten die Welt des universalen Wortes, für die Hannah kämpfte, und auch der Erzbischof kämpfte nicht übertrieben verbissen um Aspekte von Werken, die ich mehr der Hölle zugeschrieben hätte: Anwaltliche Schriften zum Beispiel und Werke von Doktoren und Attentätern, die ihre Bosheiten verbreiteten. Der Engel kämpfte verbissen um die Kontrolle über die Bekenntnisse von Huren, männlichen wie weiblichen, und andere Schriften, die dazu dienen sollten, die Fantasie des Lesers anzuregen, während die Hölle gleichermaßen nachdrücklich um die Kontrolle über den Vertrieb aller Druckerzeugnisse focht, die ihre Verfasser in der Form zu Papier brachten, dass sie wie wahrhaftige Schilderungen wirkten. Was aber, konterte die Hölle, wenn die Verfasserin eines solchen wahrhaftigen Werkes zufällig selbst eine Hure war?
    Und so ging es weiter, hin und her, und die Berater, die beide Unterhändler mit an den Tisch gebracht hatten, steuerten ihre Meinungen und unterschwelligen Beeinflussungen zu der Diskussion bei. Man wies auf frühere Entscheidungen hin. Auf das Problem des Rades und der Dreschmaschine. Gutenbergs Meisterwerk – der Grund, weshalb Himmel und Hölle einem Krieg so nahe waren – bezeichneten sie leidenschaftslos als das »aktuelle Thema«.
    Während die Argumentationen immer komplexer wurden, wuchs sich auch die Tatsache, dass die Köpfe der Engel und Dämonen anschwollen und schmaler wurden, immer mehr aus; Dutzende Auswüchse wölbten sich dünn wie Fingerknochen aus ihren aufgeblähten Schädeln und verflochten sich miteinander, was
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