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Fahr zur Hölle Mister B.

Fahr zur Hölle Mister B.

Titel: Fahr zur Hölle Mister B.
Autoren: Clive Barker
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auflöste.
    Nichts wurde mir gestohlen. Es verhielt sich lediglich so, dass die Mächte, die das Urteil über mich gefällt hatten, mich in etwas anderes verwandelten.
    Ich stolperte rückwärts aus dem Sitzungssaal und in die Werkstatt hinab. Aber wie oben, so unten. Unter mir spürte ich keinen Boden mehr. Meine Füße wurden in Lichtzeichen umgewandelt, wie meine Hände, Arme und das Gesicht.
    Nein, nicht Zeichen. Buchstaben.
    Und aus den Buchstaben, in entsprechender Anordnung, Worte.
    Ich wurde in Worte verwandelt.
    Im Anfang mag Gott das Wort gewesen sein. Aber am Ende – jedenfalls an meinem Ende (und letztlich interessiert einen das Ende anderer ja auch nicht; nur das eigene zählt) – war das Wort bei Mister B. Und Mister B. war das Wort.
    So brachten die Unterhändler mich zum Schweigen, ohne dass sie an dem Ort, wo sich an diesem ungewöhnlichsten aller Tage das Heilige und das Unheilige getroffen hatte, mein Blut vergießen mussten.
    Ich brauchte keine Beine, die mich trugen. Die Kräfte, die meinen Körper auflösten, trugen mich zu Gutenbergs Druckerpresse, deren primitiver Mechanismus, den ich hinter mir hörte, von denselben Mächten bedient wurde, die mich dorthintrugen.
    Ich sah mit meinen Wort-Augen und hörte in der Höhle meines Wort-Schädels den Rhythmus der Druckerpresse, die sich auf den Druck des ersten Buches vorbereitete.
    Ich erinnerte mich, dass Gutenberg eine Ausgabe der Ars Grammatica vorbereitet hatte, einer kleinen Grammatik, mit der er seine Erfindung ausprobieren wollte. Ach ja, und ein Gedicht: das Sibyllinische Orakel. Aber das bescheidene Experiment fand mit dem Tod oder der Flucht der Arbeiter an der Presse sein Ende. Das Papierblatt, das ich zuvor gesehen hatte, lag jetzt auf dem Boden, achtlos aus der Presse gezogen und weggeworfen. Zweifellos sollte jetzt auch ein deutlich ehrgeizigeres Projekt in Angriff genommen werden.
    Dieses Buch, das Sie gerade in Händen halten.
    Mein Leben, wie es war, von mir leibhaftig in Fleisch und Blut erzählt. Und auch dieser Tod, der gar kein Tod war … Es wurde lediglich das Gefängnis versiegelt, in dem Sie mich gefunden haben, als Sie dieses Buch aufschlugen.
    Einen Moment sah ich die Druckplatten, die von mir angefertigt wurden, während ich über der Presse in der Luft schwebte wie eine reife, pralle Frucht, die sanft an den Zweigen eines unsichtbaren Baumes schaukelt.
    Und dann begann die Druckerpresse ihre Arbeit und druckte mein Leben. Ich sage es ein letztes Mal: Dämonation! Was für ein Gefühl! Es gibt keine Worte – wie denn auch? –, um zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man selbst zu Worten wird, wenn man spürt, wie das eigene Leben schwarz auf weißem Papier codiert wird. Meine Liebe, Enttäuschungen, mein Hass, alles zerfloss zu Worten.
    Es war wie das Ende der Welt.
    Und dennoch lebe ich. Anders als all die anderen Bücher, die Gutenbergs Druckerpresse anfertigte, und auch alle anderen Pressen, die nach ihr kamen, ist dieses Buch einzigartig. Da ich in der Tinte und den Seiten bin, ist dieses Buch lebendig.
    - - -
    Nein. Es tut mir leid. Das war ein Druckfehler. Der ganze Satz ein paar Zeilen weiter oben, der mit den Worten »Da ich in« beginnt, sollte gar nicht da stehen. Ich habe vorschnell gesprochen.
    Tinte und Papier, ich? Nein, nein. Das stimmt nicht. Das wissen Sie. Ich stehe hinter Ihnen, wissen Sie noch? Ich bin Ihnen mit jeder Seite, die Sie umgeblättert haben, einen Schritt näher gekommen. Und ich halte das Messer in der Hand und bin bereit, Sie ebenso aufzuschlitzen …
    wie Sie diese Seiten gelesen haben …
    vor und zurück. Vor und …
    oh, es wird Blut fließen. Und Sie werden mich anflehen, dass ich aufhören soll, aber das werde ich nicht …
    Das werde …
    ich …
    nicht …
    - - -
    DÄMONATION!
    Es reicht! Es reicht! Es hat keinen Sinn mehr, weitere Lügen zu erzählen, um Sie von Sachverhalten zu überzeugen, die ich selbst halb glauben will – ein kläglicher Versuch, Sie zu überreden, dass Sie dieses Buch verbrennen, wo Sie doch die ganze Zeit wussten, dass ich Sie belüge (und das wussten Sie, richtig? Ich sehe es Ihrem Gesicht an).
    Ich stehe nicht mit einem Messer hinter Ihnen, um Sie aufzuschlitzen. Das könnte ich gar nicht. Ich bin hier, und nur hier. In diesen Worten.
    Der Teil war nicht gelogen. Die Seiten sind lebendig. Ich könnte die Worte auf den Seiten, die Sie noch nicht gelesen hatten, neu anordnen. Sie sind jetzt meine einzige Substanz. Und durch sie kann ich mit
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