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Fado Alexandrino

Fado Alexandrino

Titel: Fado Alexandrino
Autoren: António Lobo Antunes
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und Toilettenpisse roch. An die Stelle der demütigen, schweigenden Geschöpfe am Eingang trat nun das Echo seiner eigenen Schuhe und der Klang seiner bangen Bronchitis (wie wenn er im Radio die Appelle der angegriffenen Kompanien hörte, wenn er sich über den Gefreiten beugte, um unter Gepfeife die panisch flehenden Schreie zu hören), bis er zufällig eine Schwingtür aufstieß und sich plötzlich inmitten eines von Betten und weißgestrichenen Nachttischen überschwemmten Saales befand, in dessen Mitte eine Gruppe Ärzte feierlich konferierte.
    – Meine Frau ist zweiundsiebzig gestorben, am Tag vor unserer Rückkehr aus Mosambik, sagte der Oberstleutnant, während er einen Zahnstocher peinlich genau in gleiche Teile zerbrach, die er parallel zueinander auf dem Tischtuch aufreihte. Er hustete, und seine Schläfen fielen ein wie die eines erschöpften Hundes:
    – Ich bin nicht einmal rechtzeitig gekommen, um an der Beerdigung teilzunehmen.

    Und ich dachte, während ich auf die Glatzen, die grauen Haare, die verbrauchten Gesichter schaute, die lächelten, kauten und redeten: Sind wir für nichts und wieder nichts gealtert, oder ist irgend etwas, wird noch irgend etwas möglich sein? Denn das war für mich das Schlimmste, die Vorstellung, daß wir uns umsonst den Arsch aufgerissen haben, uns grundlos verbraucht hatten.
    – Sogar die Concierge in dem Gebäude, in dem ich in Barcelona gewohnt habe, führte der Funker als Beispiel an, ging regelmäßig zum Typen von der Pide in der Botschaft, um zu erzählen, was die Portugiesen aus dem Haus so machten. Natürlich haben wir uns weit weg davon getroffen, in den Cafés, in den Parks, in Kirchen, in der U-Bahn, aber fast immer mit der gleichen Wachsamkeit, den gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie in Lissabon.
    – Zehn Jahre, Herr Hauptmann, wiederholte ungläubig der Leutnant. Zehn Jahre, und irgendwie hat man’s nicht gemerkt.
    Der Oberstleutnant versuchte einen kleinen, schüchternen Schritt in den Krankensaal zu machen (womöglich schwebte der mickrige Mitschüler hier jetzt ungeheuer wichtig herum), er sah, wie ein spinnenartiges Wesen eine Bettpfanne unter Hinterbacken hervorzog und sie auf den Boden stellte, schaute eine Sekunde lang auf spindeldürre, behaarte Schenkel, die sich bewegten, ein Paar riesiger Augenhöhlen, das ihn ohne Neugier und ohne Scham ansah, nur wie vage Schwäne auf der Oberfläche vollkommener Gleichgültigkeit schwamm, sah ausgestreckte Oberkörper, denen Substanz und Gewicht abhanden gekommen waren, wie die der Schwarzen von den illegalen Feldern, die die südafrikanischen Hubschrauber aus dem Busch brachten, er zog neben dem Kommandoposten die Pistole, der Typ sah ihn mit schlaffen Gliedern ohne Furcht, ohne Haß an, und ich war unfähig abzudrücken, zuzusehen, wie er, ohne zu protestieren, auf dem Boden zusammensackte. Einer der Ärzte schaute ihn, am Strang des Stethoskops gehenkt, fragend an: Ob das der Idiot aus dem Gymnasium war, dachte er, doch in Wahrheit fühlte er sich verschreckt und schwindlig, ohne Worte, und so begann er den Rückzug, bis
seine Hand das kühle Metall des Türgriffs berührte. Die Ärzte, die plötzlich riesig waren, betrachteten ihn mit einem Ausdruck, der ihm wie ein ungeheurer Vorwurf vorkam: Ehrlich, ich habe nicht getötet, schrie der Oberstleutnant stumm, ich habe nicht abgedrückt, ich habe nicht einmal den Lauf der Waffe bis zu den Lumpen der Brust gehoben. Er öffnete zutiefst niedergeschlagen die Tür, und wieder die nicht gerade sauberen Korridore, die zerrissenen Plakate, die mit Bleistift an die Wand geschriebenen Toilettenobszönitäten, das übliche Labyrinth aus Desinfektionsmittel und Äther, Angestellte, die Eimer oder Bündel oder Kästen mit Verbandsmaterial trugen oder verchromte Wagen voller Blechteller mit Essen steuerten. Auf der anderen Seite der Fenster war der Himmel inzwischen blau geworden über den backsteinfarbenen Zähnen der Dächer, den kleinen Balkonen mit Blumentöpfen und Pflanzen und dem Saatfeld der Fernsehantennen, deren Früchte zittrige, an Drahtzweigen hängende Regentropfen waren. Ein enger Fahrstuhl mit einem Schwarm schwätzender, lachender junger Krankenschwestern spuckte ihn in der Halle aus, in der er wieder auf die traurigen grauen Menschen traf, die schweigend auf die Sprechstunde warteten. Er fragte einen übelriechenden Alten mit Tirolerhut und dann ein Männlein mit finsterem Bart, Wo finde ich bitte das Sekretariat? Die anderen gaben eilig umfangreiche
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