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Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
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das sagst du nur, weil du denkst, es würde mir schwerer fallen,
die hässliche Schale wegzuwerfen, wenn sie einen Namen hat. Als war sie ein
Meerschweinchen!»
    «Und
wennschon. Pirmin heißt sie trotzdem.»
    «Mein
Lieblingsonkel heißt Pirmin.»
    «Ich weiß,
aber das ist jetzt wirklich Zufall. Ich habe auch schon darüber geschmunzelt,
dass die beiden zufällig gleich heißen.»
    Ihre Augen
funkelten mich an, ein Blick, der einerseits Wut verriet, andererseits aber
durchschimmern ließ, dass sie auch ein klein wenig stolz auf mich war.
Zumindest interpretierte ich das so. Im Stile einer amerikanischen Präsidentin,
die ihrem Undercoveragenten wider besseres Wissen eine letzte Fristverlängerung
gewährt, bevor sie unweigerlich den nuklearen Erstschlag wird befehlen müssen,
verkündete die Freundin: «Also gut, eine Woche darf Pirmin hierbleiben, aber
dann ...», und ging entschlossenen Schrittes aus dem Raum.
    Noch am
selben Nachmittag kaufte ich vier Kilo Äpfel. Doch das schaffte nicht einmal
Pirmin. Neun Äpfel passten in die Schale, den Rest legte ich davor. Und dann
geschah das Wunder. Nach fünf Tagen war deutlich zu sehen, wie die letzten
beiden Äpfel neben der Schale schon ziemlich oll und runzlig wurden. Die neun
in der Schale jedoch waren knackig wie am ersten Tag. Wir waren baff. Ich muss
zugeben, ich habe bis dahin auch nicht gewusst, wie extrem gut Steingutschalen
Obst frisch halten können, und Pirmin, wohl weil er eine Grassauer
Spezialanfertigung war, konnte es nochmal ganz besonders gut.
    Auch die
Freundin war tief beeindruckt. Selbstverständlich wurde Pirmin nun von der
Präsidentin begnadigt und durfte bleiben, bis heute. Längst ist die Schale
allen ans Herz gewachsen. So sehr, dass ich mittlerweile eigentlich sogar zugeben
könnte, damals die Äpfel in Pirmin nach fünf Tagen gegen frische ausgetauscht
zu haben. Aber das muss ja nicht sein. Die beste Art, Konflikte zu lösen, sind
eben nach wie vor Wunder. Und die besten Wunder macht man immer noch selbst.
     
    Fahrradskelette
     
    Donnerstagmorgen.
Sitze am Frühstückstisch und bin müde. Unendlich müde. Es ist wie verhext. Wenn
ich am Frühstückstisch sitze, bin ich müde. Wenn ich im Bett liege, habe ich
Hunger. Immer am falschen Ort zur falschen Zeit. Die Uhr zeigt 8.50 Uhr. Wenn
das stimmt, frühstücke ich schon seit über einer Stunde und habe nicht einmal
ein Brötchen geschafft. Auch bei der Zeitung bin ich noch immer beim Kommentar
auf der ersten Seite. Seit über einer Stunde. Ich muss beim Frühstücken
eingeschlafen sein. Einfach so. Oder zumindest weggedöst.
    Stelle
fest, das Brötchen, an dem ich seit einer Stunde esse, ist noch gar nicht geschmiert.
Es ist nicht einmal aufgeschnitten. Also, um ganz genau zu sein, ist da nicht
einmal ein Brötchen. Seit rund einer Stunde sitze ich am leeren Tisch und bilde
mir ein, ich würde frühstücken. Regungslos. Die sogenannte Frühstücksstarre. So
gesehen, ist es eigentlich kein Wunder, wenn ich nicht satt werde. Höre, wie
Herr Carl unten im Innenhof die Fahrräder beschimpft. Mist, selbst wenn ich
wollte, könnte ich jetzt keine Brötchen holen.
    Bei uns im
Hof stehen drei Fahrräder, die offensichtlich niemandem gehören. Genau genommen
sind es mehr Fahrradskelette. Diese Fahrradskelette standen schon dort, glaube
ich, als ich vor fast zehn Jahren eingezogen bin. Sie sind und waren einfach
immer da. Wie Fahrradgeister oder Zombies. Nicht mehr richtig am Leben, aber
eben auch nicht richtig tot und erlöst.
    Herr Carl
aus dem ersten Stock regt sich permanent über diese Fahrräder auf. Jeden Tag,
Punkt 8.55 Uhr, steht er im Innenhof und beschimpft die Fahrräder und das
Schwein, das die hier hat stehenlassen, und die Hausverwaltung, weil sie die
untoten Fahrräder nicht wegschafft. Die Hausverwaltung sagt, die Fahrräder
sind abgeschlossen und damit sei sie nicht zuständig. Deshalb müssen die
Fahrräder wohl für immer dort stehen bleiben und verrotten. Schade, weil, die wesentlichen
Teile sind ja noch da. Wenn man sich mal die Mühe machen würde, Reifen, Bremsen
und Licht zu reparieren, könnte man da wahrscheinlich noch prima mit fahren.
Aber das sagt sich andererseits auch wieder so leicht.
    Was könnte
man nicht alles machen, wenn man sich mal die Mühe machen würde? Wenn man sich
mal die Mühe machen würde, wäre praktisch alles möglich. Da gibt es keine
Grenzen, da wachsen die Bäume in den Himmel. Dem, der sich mal die Mühe macht,
gehört die Welt. Alles könnte
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