Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evers, Horst

Evers, Horst

Titel: Evers, Horst
Autoren: Fuer Eile habe ich keine Zeit
Vom Netzwerk:
Horst Evers
     
    FÜR EILE FEHLT MIR DIE ZEIT
     
     
    FRÜHLING
     
    Am Anfang
wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde
allenthalben als Schritt in die falsche Richtung gesehen.
    Douglas Adams, britischer Autor
     
    Für Eile fehlt mir die Zeit
     
    Sitze im
Zug und arbeite am Computer. Kann mich nicht gut konzentrieren. Neben dem
Fahrgeräusch hört man ein lautes Krächzen, Röcheln und Krachen. Als würde in
der Radaufhängung etwas schleifen oder so ähnlich. Klingt gar nicht gut. Zerrt
auch ziemlich an den Nerven, das Geräusch. Unangenehm. Jetzt gibt es sogar
leichte Schläge. In die Seite. Oder mehr so ein Stupsen. Und jetzt ruft es:
«Halloooo! Hallo, Sie! Das stört doch sehr! Wachen Sie auf! Halloooo!!!» Ich
reiße die Augen auf und schaue in das ärgerliche, aber wunderschöne Gesicht
einer Frau mit ganz, ganz vielen Haaren. Als sie sieht, dass ich wach bin,
schwebt sie zurück zu ihrem Platz zwei Reihen weiter. Ich versuche, zu mir zu
kommen. Immerhin, in dem Moment, wo sie mich geweckt hat, haben auch diese
krächzenden, röchelnden, krachenden Geräusche in der Radaufhängung aufgehört.
Der Zug ist wieder heile. Eine Sorge weniger.
    Schaue
mich ein wenig um. Alle Reisenden aus dem Waggon starren mich an. Fühle mich
unwohl, verkrieche mich ganz, ganz tief in den Sitz. Der Jugendliche gegenüber
grinst. Versuche, möglichst beiläufig zu fragen:
    -     Hallooo, wie lange war ich denn
weg?
    -     Knapp 'ne Stunde. Seit kurz hinter
Offenburg.
    -     Uiiihh, und ich hab wohl auch ein
bisschen geschnarcht, oder?
    Er lacht.
    -     Ein bisschen? Obwohl, anfangs war
es noch recht leise. Erst die letzten vier, fünf Minuten wurde es dann richtig
laut.
    -     Wie laut?
    Von einem
Sitz vier Reihen weiter hinten ruft jemand:
    -   Na, so
richtig laut. Klang wie 'ne Knochensäge am Unfallort!
    Von vorne
kommt Widerspruch:
    -     Nee, ich find eher wie ein
Abflussrohr nach einer Wassersperrung!
    -     Nein, als wenn man bei einem Auto
den vierten Gang nicht richtig reinkriegt, es minutenlang versucht, aus Verzweiflung
immer mehr Gas im Leerlauf gibt und dann aus Trotz einfach mal den
Rückwärtsgang einlegt!
    Plötzlich
hat jeder eine Meinung zu meinen Schnarchgeräuschen, doch die aufkommende,
lebhafte Diskussion wird von der Durchsage, der Zug erreiche in wenigen Minuten
Mannheim, jäh abgewürgt. Mir ist es sehr recht, dass offensichtlich ein
Großteil der Reisenden aussteigt. Auch der Jugendliche räumt seine Sachen
zusammen. Im Aufstehen raunt er mir noch zu:
    -   Ich fand
ja das Gerede im Schlaf vorher viel unangenehmer. Gott sei Dank waren keine
Kinder im Abteil.
    Dann
grinst er wieder so, dass man nicht genau weiß, ob er einen Scherz gemacht hat.
    Die Frau
mit den ganz, ganz vielen Haaren versucht, mich zu beruhigen:
    -  Ach,
machen Sie sich keine Gedanken, für einen Mann in Ihrem Alter ist so was völlig
normal.
    Jetzt bin
ich wirklich aufgewühlt. Frage sie aber lieber nicht, wie alt ein Mann in
meinem Alter wohl so sei. Und auch nicht, was für den dann völlig normal sei.
Vielleicht hat die Frau ja auch nur einen Scherz gemacht. Denke, während die
Frau lachend im Gang steht: Wie schafft so ein Kopf das nur, mit so vielen
Haaren? Das muss doch irrsinnig anstrengend für den Kopf sein, die alle mit
Nährstoffen zu versorgen. Oder bei Gegenwind. Ich wäre wahrscheinlich noch
viel müder, wenn ich für so viele Haare die Verantwortung tragen müsste.
    Ein neuer
Fahrgast steigt ein und setzt sich an meinen Tisch. Wobei, er setzt sich an
meinen Tisch ist stark untertrieben. Im Hinsetzen holt er schon seinen Laptop
raus, klappt ihn auf, schaltet ihn ein, nimmt das Ladegerät, fragt mich, wo die
Steckdose ist, steckt den Stecker ein, telefoniert währenddessen mit dem
Handy, checkt seine Mails, stellt plötzlich seinen Coffee to go, einen
Take-away-Bag von der Sandwich-Station und einen Obstshake - all das muss er
wohl die ganze Zeit in der Hand gehabt haben - auf dem Tisch ab, telefoniert
immer noch, tippt parallel was in den Laptop, holt einige Unterlagen aus der
Tasche, verstaut die Tasche, telefoniert immer noch, verschickt Mails, beginnt
nebenher die drei Zeitungen aus seiner Manteltasche durchzusehen, fängt an zu
essen, telefoniert immer noch, holt ein zweites Handy raus, tippt dort auch
noch was und beendet dann, bevor der Zug überhaupt losgefahren ist, sein
Telefonat mit den Worten: «Ich bin im Zug und die ganze Zeit erreichbar.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher