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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge
Autoren: Karin Fossum
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Mutter der Freundin angerufen, weil Ragnhild nach Hause kommen sollte. Sie wollte mit ihr einkaufen fahren. Und jetzt ist sie spurlos verschwunden.«
    »Und wohnt – wo?«
    »In Fagerlundsåsen in Lundeby. In der neuen Siedlung. Neu zugezogen.«
    Sejer trommelte auf seiner Schreibunterlage herum, einer Weltkarte. Seine Hand bedeckte ganz Südamerika.
    »Dann müssen wir hinfahren.«
    »Wir haben schon einen Streifenwagen geschickt.«
    »Dann spreche ich erst mit Frau Magnus. Dann ist die Sache wenigstens aus der Welt. Ruf die Eltern an und sag, daß wir kommen, nenn aber keine genaue Uhrzeit.«
    »Die Mutter. Der Vater ist verreist, sie können ihn nicht erreichen.«
    Karlsen schob seinen Stuhl zurück und erhob sich.
    »Ach, übrigens, hast du die Strumpfhose für deine Frau gefunden?«
    Karlsen stutzte.
    »Die Slipeinlagen«, erklärte Sejer.
    »Nein, Konrad, ich habe keine Strumpfhose gekauft. Slipeinlagen sind so Dinge, die Frauen sich an heißen Tagen in die Unterhose legen.«
    Er ging, und Sejer nagte an einem Fingernagel und spürte, wie sich sein Magen vor Nervosität zusammenkrampfte.
    Es gefiel ihm überhaupt nicht, wenn sechsjährige Mädchen nicht erwartungsgemäß nach Hause kamen. Obwohl er wußte, daß es viele Möglichkeiten gab. Alles, von geschiedenen Vätern, die ihr Besitzrecht demonstrieren wollten, bis zu heimatlosen Hündchen, die ein Kind mit nach Hause nehmen wollte, oder gedankenlosen größeren Kindern, die mit den Kleinen Ausflüge machten, ohne Bescheid zu sagen. Ab und zu wurden Kinder schlafend und Däumchen lutschend in irgendeinem Gebüsch gefunden. Nicht viele Sechsjährige vielleicht, aber mit Zwei-oder Dreijährigen war das schon passiert. Manchmal verirrten sie sich ganz einfach und wuselten Stunde um Stunde herum. Manchmal brachen sie dann gleich in Tränen aus, und dann kümmerte sich jemand um sie. Andere verstummten vor Angst und fielen niemandem auf. Um acht Uhr morgens ist es jedenfalls still auf den Straßen, überlegte er und beruhigte sich.
    Er schloß seinen obersten Hemdenknopf und stand auf. Er griff auch nach seiner Jacke, als ob der Stoff ihn vor dem schützen konnte, was jetzt bevorstand. Dann ging er durch den Flur. Der sah im Vormittagslicht grünlich aus und erinnerte an das alte Schwimmbad, das Sejer als Junge besucht hatte.
    Die Untersuchungszellen lagen im fünften Stock. Er nahm den Fahrstuhl und kam sich wie immer ein wenig idiotisch vor, als er da in der kleinen Schachtel stand, die an den Wänden auf-und abfuhr. Und es ging zu schnell. Alles sollte irgendwie seine Zeit brauchen. Er spürte, daß er zu schnell war. Plötzlich stand er vor der Zellentür. Einen Moment lang versuchte er, den Wunsch, zuerst hineinzuschauen, zu unterdrücken, aber das gelang ihm nicht. Durch das Türfenster konnte er sehen, daß sie in die Decke gehüllt auf der Pritsche saß. Sie starrte aus dem Fenster, durch das ein kleiner grauer Himmelsflecken zu sehen war. Sie fuhr zusammen, als sie das Schloß klirren hörte.
    »Ich kann dieses Warten nicht ertragen!« sagte sie.
    Er nickte verständnisvoll.
    »Jetzt warte ich auf meinen Vater. Sie holen ihn. Der Anwalt hat angerufen, sie holen ihn mit einem Taxi. Ich begreife nicht, warum das so lange dauert, das schaffen sie doch in einer halben Stunde.«
    Sejer blieb stehen. Es gab nichts, wo er sich hinsetzen konnte. Sich neben sie auf die Pritsche zu setzen, wäre zu intim gewesen.
    »An das Warten werden Sie sich gewöhnen müssen, davon steht Ihnen noch einiges bevor.«
    »Ich bin aber nicht daran gewöhnt. Ich bin daran gewöhnt, die ganze Zeit beschäftigt zu sein, ich bin daran gewöhnt, daß der Tag zu wenig Stunden hat und daß Emma immer quengelt und etwas von mir will. Hier ist es so still«, sagte Eva verzweifelt.
    »Lassen Sie sich einen guten Rat geben. Versuchen Sie, nachts zu schlafen. Versuchen Sie, etwas zu essen. Sonst wird es zu hart für Sie.«
    »Warum sind Sie gekommen?«
    Sie musterte ihn plötzlich mißtrauisch.
    »Ich muß Ihnen etwas sagen.«
    Er trat etwas näher an sie heran und holte tief Atem.
    »Für Ihren Fall und das Urteil ist das vielleicht nicht so wichtig. Aber in anderer Hinsicht kann es schlimm für Sie sein.«
    »Ich verstehe wirklich nicht, wovon Sie reden …«
    »Im Laufe der Zeit haben wir von der Gerichtsmedizin etliche Unterlagen erhalten …«
    »Ja?«
    »Über Maja Durban und über Egil Einarsson. Es sind nämlich diverse Untersuchungen angestellt worden. Und dabei ist eine für Sie
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