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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge
Autoren: Karin Fossum
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dort gewesen, in dem Herbst, als sein Moped gestohlen worden war, und er konnte sich jedenfalls nicht an einen Kiosk erinnern. Und sie saß doch in Untersuchungshaft, dann durfte sie sowieso nicht herumlaufen. Er wollte aufstehen und wieder ins Wohnzimmer gehen, aber seine Beine fühlten sich lahm und schwach an. Das kam vor, daran war er gewöhnt, und jetzt hatte er ja noch dazu einen Schock erlitten. Er würde noch ein wenig sitzen bleiben. Vielleicht sollte er Jostein anrufen. Er machte noch einen Versuch, sank aber wieder zurück, und plötzlich war ihm schwindlig. Das kam oft vor, das lag an Kalkablagerungen in den Nackenadern, die die Blutzufuhr zum Gehirn erschwerten, und das war normal, weil er alt war, es war ganz einfach normal so, unter diesen Umständen. Aber es quälte ihn, vor allem jetzt, weil es einfach nicht aufhören wollte. Die Decke kam ihm entgegen. Auch die Wände rückten zusammen, alles wurde so eng, und langsam wurde es auch dunkel. Eva war wegen Mordes festgenommen worden, und sie hatte gestanden. Er riß sich zusammen und stieß sich vom Stuhl ab. Als letztes spürte er, wie seine spitzen Knie heftig gegen seine Stirn stießen.
    ---
    S ejer betrachtete durch das Fenster den Fuhrpark. Das nicht verschließbare Tor, durch das die Straßenrowdies immer wieder hereinkamen und Fahrzeuge ramponierten oder Teile daraus stahlen, die trockenen Grasbüschel am Zaun. Frau Brenningen hatte dort einmal Petunien gepflanzt, jetzt hatte das Unkraut den Kampf um die Beete gewonnen. Im Protokoll konnte er lesen, daß die Untersuchungsgefangene Eva Magnus nicht geschlafen und Essen und Trinken abgelehnt habe. Das sah nicht gut aus. Ansonsten machte ihr die Tatsache arg zu schaffen, daß sie durch die Türklappe beobachtet werden konnte, und daß die ganze Nacht hindurch das Licht brannte.
    Er mußte aufstehen und mit ihr sprechen, aber er wollte einfach nicht, und deshalb war er erleichtert, als an die Tür geklopft wurde. Ein winziger Aufschub. Karlsen steckte den Kopf herein.
    »Das war ja vielleicht eine Nacht, wie ich gehört habe.«
    Er ließ sich am Tisch nieder und schob einen Stapel Papiere beiseite.
    »Wir haben eine Vermißtenmeldung.«
    »Ach!« sagte Sejer. Ein neuer Fall käme ihm jetzt wie gerufen,konnte ihn daran erinnern, daß er trotz allem nur seinen Job machte, für den er bezahlt wurde und den er um vier Uhr in die Schublade stecken konnte, jedenfalls, wenn er sich Mühe gab.
    »Ich nehme alles, wenn es nur nicht um ein Kind geht.«
    Karlsen seufzte. Auch er warf einen Blick hinaus auf die Dienstwagen, wie, um sich davon zu überzeugen, daß alle noch vorhanden waren. Sie sahen aus wie alte Cowboys, die im Saloon einen Tisch gefunden hatten und immer wieder nach Pferdedieben Ausschau hielten.
    »Hast du übrigens Eva Magnus schon informiert?«
    Sejer schüttelte den Kopf. »Ich gebe mir große Mühe, um noch einen Aufschub zu finden.«
    »Aber das bringt doch nichts.«
    »Nein, aber ich habe Angst davor.«
    »Ich kann das für dich übernehmen.«
    »Danke, aber das ist meine Aufgabe. Wenn ich meine Arbeit nicht mehr machen kann, kann ich auch gleich in Pension gehen.«
    Er sah seinen Kollegen an. »Wer ist denn diesmal nicht nach Hause gekommen?«
    Karlsen zog ein Papier aus seiner Uniformtasche und faltete es auseinander. Er las es, zog sich zweimal am Schnurrbart und räusperte sich widerwillig. »Ein sechsjähriges Mädchen, Ragnhild Album. Hat letzte Nacht bei einer Freundin in der Nachbarschaft geschlafen und sollte heute morgen wieder zu Hause sein. Ein Weg von höchstens zehn bis zwölf Minuten. Sie hatte einen rosa Puppenwagen mit einer Puppe, die schreien kann. Und Elise heißt.«
    »Elise?«
    »Eine Puppe mit Schnuller. Wenn man den rauszieht, fängt sie an zu schreien. Das ist jetzt total in, alle Mädels haben so eine. Aber du hast ja nur einen Enkel, deshalb hast du solche Puppen noch nicht gesehen. Ich wohl. Hören sich an wie echte Säuglinge. Wie irgendwas aus einem Hitchcockfilm. Egal. Im Wagen hatte sie auch ein Nachthemd und eine kleine Tasche mit Zahnbürste und Kamm. Alles ist verschwunden.«
    »Vermißt seit …«
    »Acht Uhr.«
    »Acht?« Sejer schaute auf die Uhr. Es war elf.
    »Sie wollte gleich nach dem Aufstehen nach Hause, und die Mutter ihrer Freundin lag noch im Bett. Sie hat gehört, daß die Kinder aufgestanden sind und daß so gegen acht die Tür ging. Ragnhild war allein unterwegs, es ist ja nicht weit, und dann hat um zehn Uhr Ragnhilds Mutter bei der
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