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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House
Autoren: Peter Straub
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Körnchen Sinn verschwunden. In seinem Kopf hörte er das Geräusch - mehr ein Echo als ein Geräusch selbst und mehr die Erinnerung an ein Echo und noch mehr als das, das Verlangen nach der Erinnerung - eines weinenden Babys. Der innere Standish blieb ruhig stehen und schenkte diesem einsamen, drängenden Geräusch seine Aufmerksamkeit. Der äußere Standish ging durch das Zimmer zu dem ungemachten Bett. Jetzt weinte er, wußte aber nicht, warum, und der innere Standish, der es ihm hätte sagen können, war anderweitig beschäftigt.
    Im Käfig seines eigenen Gestanks schlich Standish auf Zehenspitzen einige zaghafte Schritte zu dem Bett hin. Ihm kam es so vor, als könnte er harsche, unglückliche Atemzüge hören.
    Er war nur noch einen oder zwei Schritte von dem Bett entfernt und konnte das Schwarzweißmuster der zurückgeschlagenen Decke und der runzligen Laken erkennen. Das gekerbte Kissen lag auf diesem Muster wie eine feiste Made. Er hatte ohne es zu merken die Axt gehoben und ließ sie wieder sinken. Von den zerwühlten Laken stieg ein Duft von Parfüm und Puder auf. Ein dünnes Muster winziger Flecken, die von seinem eigenen Blut stammen mußten, fiel auf die Laken. Das Bett war leer, das Atmen, das er gehört hatte, sein eigenes - der innere Standish sprach durch den äußeren.
    Sie war geflohen, wie die leuchtenden Wesen vor so langer Zeit geflohen waren, aber nicht in die andere Welt, sondern ins Nebenzimmer.
    Standish atmete wieder ihre Präsenz ein und spürte, wie sie sich mit seinem eigenen übelreichenden Gestank vereinigte, als handelte es sich um eine Substanz. Er machte kehrt und ging an den Büchern und dem klaffenden Koffer vorbei so leise hinaus, wie er hereingekommen war. Die Tür ließ gelbes, sinnloses Licht, so hirnlos wie ein Schwarm Moskitos, über ihn und um ihn herum fluten.
    In dem Fenster auf der anderen Seite des Flurs sah er das Spiegelbild eines geduckten, halb menschlichen Tiers mit schmutzigem und blutverschmiertem Körper um eine Tür herumgeschlichen kommen. Die Kreatur hielt eine Axt in der rechten Hand und wirkte spitzköpfig, verwachsen, monströs. Mit etwas, das Wonne gleichkam, sah Standish, daß diese Kreatur er selbst war - der innere Standish war endlich herausgekommen. Vierundzwanzig Stunden zuvor hatte er ihn im Badezimmerspiegel gesehen, aber nun war er tatsächlich da und hatte sich endlich offenbart. Ihm schien, als hätte er fast sein ganzes Leben auf diesen Augenblick gewartet. »Aber, aber, Miss Standish« , flüsterte er bei sich und drückte die schmutzige Hand auf den Mund, damit er nicht kicherte.
    Durch den erschrockenen Körper der Kreatur hindurch sah er das flammenlodernde Rechteck, bei dem es sich um das Fenster seines alten Zimmers handelte.
    Er wandte sich der zweiten Tür zu, und die gebückte, gräßliche Kreatur mit der Axt folgte seinem Beispiel. Blutiges, verfilztes Haar bedeckte ihre Schultern. Ihre dunkle Hand hatte sie immer noch auf den Mund gedrückt. Er verfolgte, wie die Kreatur grotesk den Korridor hinabschwebte, bis sie aus dem Fensterrahmen verschwand.
    Ein paar zaghafte Schritte brachten ihn zur zweiten Tür. Mit glitschigen Fingern berührte er den Knauf. Er biß die Zähne zusammen und drehte den Knauf. Die Tür bewegte sich einige Zentimeter nach innen; Standish folgte ihr auf Zehenspitzen. Noch ein paar Zentimeter und er schlüpfte in das Zimmer.
    Er machte die Tür hinter sich zu, nachdem er nichts als ein Paar Schuhe auf dem kahlen Boden und ein über die Rückenlehne eines Stuhls drapiertes weißes Hemd gesehen hatte, das wie ein Gespenst aus der atmenden Dunkelheit auf ihn zugeschwebt kam. Auch als er die Tür geschlossen hatte, schien das Hemd noch zu schweben - ein Geist, der darauf wartete, geboren zu werden, möglicherweise durch das Paar, das in dem Bett auf der anderen Seite des Zimmers lag. Die Atemgeräusche gingen von ihnen aus, langsames, regelmäßiges Ein- und Ausatmen. Über seinen eigenen Gestank hinweg nahm Standish den zarten Duft von Parfüm und Puder aus dem ersten Schlafzimmer wahr, und noch einen Geruch, der sich damit vermischte, den von Schweiß und Sex.
    Er seufzte.
    Als sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er die kahlen, trüben Wände, die bei Tageslicht weiß sein würden, und das typisch männliche Durcheinander von Socken und Sweatshirts und Jeans auf dem Boden neben dem Bett. An der Wand lehnte etwas, das die Form eines auf dem Kopf stehenden Banjos hatte. Das war ein
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