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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House
Autoren: Peter Straub
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Denn es soll ein Geheimnis geben, weißt du. Außerordentlich schlau, unser Chester.«
    Da Standish noch nicht sicher gewesen war, hatte er diesem schandmäuligen vorgeblichen Freund, dessen Name und Atem an Hustenbonbons gemahnten, nicht geantwortet, daß die Schwester seiner eigenen Großmutter, seines Großvaters erste Frau, Gast der Seneschals in Esswood gewesen war. Nicht ausschließen konnte man, daß die Anspielung auf Heimlichkeiten und ein Geheimnis Vater dieses Gedankens war. Doch er glaubte sich zu erinnern, daß die Schwester seiner Großmutter in einem englischen Landhaus oder Anwesen gestorben war, dessen Name eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von Ridgeleys Wohltäter aufwies; eine andere Verbindung als diese vagen Zufälle stellte er nicht her. Zu jener Zeit in Popham schienen Zufälle noch möglich.
    Unmittelbar vor Ende des Herbstsemesters begegnete Standish Ridgeley im Büro der Englisch-Fakultät und mußte sich einen Stoßseufzer der Betroffenheit verkneifen. Aus Ridgeleys hängenden Professorenschultern war definitiv ein Buckel geworden, die eingefallenen Wangen sahen grau und ungesund aus, die hängenden Lider zeigten aufgeplatzte rosa Äderchen. Sein Auftreten war nie forsch gewesen, aber jetzt schlurfte er wie ein kranker alter Mann. Standishs wohlinformiertem hypothetischem Freund zufolge hatte der tatterige alte Professor sein Apartment untervermietet und Vorbereitungen getroffen, seine gesamte Habe einzulagern, als ihn jemand vom Personal Esswoods darüber informierte, die Familie Seneschal habe von gewissen Ungereimtheiten in seiner Vergangenheit Kenntnis erlangt und sähe sich, wie sie es ausdrückten, leider veranlaßt, die Einladung, ihnen als Stipendiat von Esswood Gesellschaft zu leisten, für die nahe Zukunft zurückzuziehen.
    Ungereimtheiten? fragte Standish. Ridgeley?
    Nun , sagte sein Freund, offenbar hatte es vor langer Zeit Gerede über Ridgeley gegeben. Dieser Mann, dieser Pseudo-Freund, dessen Name Hustenbonbons heraufbeschwor, damals sechsundvierzig, Standish dagegen taufrische vierundzwanzig, hatte in den ersten Jahren in Popham nur die letzten Nachbeben einer fragwürdigen, lange zurückliegenden Situation mitbekommen, zu vage, um von einem Skandal zu sprechen. Ridgeley hatte möglicherweise eine Affäre mit einer Studentin ungeschickt gehandhabt; die Studentin hatte möglicherweise ihr Studium aufgegeben, war in ihren trostlosen Heimatort zurückgekehrt und dort möglicherweise im Kindbett gestorben. Nichts war gewiß. Ridgeley für seinen Teil hatte alles abgestritten und sich dann klugerweise geweigert, über die Situation zu sprechen. Die Frage war, fuhr der geschwätzige Pseudo-Freund fort, wie hatten die Leute in Esswood von dieser verstaubten alten Angelegenheit erfahren? Hatten sie Privatdetektive angeheuert? Ridgeleys Semester in Esswood war nicht unwiderruflich abgesagt worden, nur auf unbestimmte Zeit - vielleicht hatten sie ja nicht mehr als Standish herausgefunden. Man mußte zugeben, sagte der Mann, daß sie sich sehr ernst nahmen.
    Natürlich hatte es Ridgeley überlebt, seine Auszeit absagen und sein Apartment und seinen Job behalten können; aber soweit Standish wußte, hatte er keine neue Einladung nach Esswood mehr bekommen.
    Der andere Fall, der sich ereignete, als es in Popham zu einer Ungerechtigkeit gekommen war, einem phantastischen Verrat, der zu Blutvergießen führte, echtem Blutvergießen, wenn es auch weder das Blut von Standish noch dem schlangenzüngigen Freund war, zum Verlust von einem bestimmten DING, ohne das man freilich besser dran war, weitaus besser, und zu Standishs plötzlicher Abberufung und eventueller Neueinstellung an einem anderen, wesentlich besseren College, lag einfacher. Standish verstand nie, wie Jeremy es überhaupt geschafft hatte, daß er nach Esswood eingeladen wurde - Jeremy Starger, ein hyperaktiver zweiundzwanzigjähriger Lehrer am Zenith College in Zenith, Illinois, eine unglaublich naive und unzuverlässige Person, der gerade in Ann Arbor seinen Doktor gemacht hatte und manchmal schon am frühen Nachmittag buchstäblich vor Trunkenheit torkelte. Jeremys glänzende kleine Äuglein quollen über dem Zauselbart aus den Höhlen und schossen schnelle Blicke umher, wenn er weitschweifig und unaufhaltsam über D. H. Lawrence dozierte, den Gegenstand seiner Forschungen - seiner »Forschungen« - und das Objekt seiner Begierde. Es schien, als hätte Lawrence mehrere Wochen in Esswood verbracht und seine Besuche eindeutig so
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