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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House
Autoren: Peter Straub
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Buchs seiner Frau finanziert hatte. Auf Martin, der mit Literatur wenig am Hut hatte, mußte es wahrlich einen seltsamen Eindruck gemacht haben. Für William Standishs geschulteres Auge waren die Gedichte mit ihren Sprachrhythmen, Nonsens-Passagen, unregelmäßigen Versmaßen und gnomischer Diktion erstaunlich originell. Diese Dichtung verwarf jede Sentimentalität implizit und zelebrierte ihre eigene Verschrobenheit. Isobel Standish verdiente einen Platz bei Stevens, Moore, Williams, Pound und Eliot. Sie war in gewisser Weise die Emily Dickinson des zwanzigsten Jahrhunderts; sie gehörte ausschließlich William Standish.
    Zu dem Zeitpunkt wußte er längst, daß seine Dissertation über Henry James eines leisen Todes gestorben war. Er war immer noch verheiratet, und obwohl er und Jean wieder daran denken konnten, Eltern zu werden, geriet seine Laufbahn am Zenith College Jahr für Jahr mehr in Gefahr. Zwei Bücher über Isobel Standish, eine von ihm eingeleitete Ausgabe ihres Gesamtwerks und eine umfassende Studie über ihre Bedeutung für die Dichtung des zwanzigsten Jahrhunderts, würden das Komitee zufriedenstellen und ihm seinen Job sichern. Er konnte den abscheulichen Kadaver seiner Dissertation mit einem Endspurt hinter sich lassen, Zenith vielleicht ganz den Rücken kehren - und in einer weitaus angemesseneren Welt, möglicherweise in einem Elfenbeinturm, zur Ruhe kommen.
    Neun Monate bevor das Komitee ihn wissen ließ, daß eine Publikation für seine weitere Arbeit am Zenith erforderlich wäre, hatte er nach Esswood geschrieben und nachgefragt, ob Isobel tatsächlich in den Genuß der Gastfreundschaft der Seneschals gekommen war, ob sie in Esswood gearbeitet hatte - und vor allem, ob es in der berühmten Bibliothek Manuskripte von ihr gab. Wenn ja, könnte dieser Brief dann als Ersuchen um ein Stipendium für einen Zeitraum, den Esswood für ein gründliches Studium ihres Werks für angemessen hielt, angesehen werden? Er hatte nicht verabsäumt, seine Begeisterung für Isobels Werk und seine Einschätzung ihrer Bedeutung zu erwähnen und ließ auch seine seltsame Beziehung zu der Dichterin nicht unerwähnt.
    Esswood antwortete prompt mit einem Schreiben mit den Initialen R. W. - über seinen Antrag würde »zu gegebener Zeit« entschieden. Standish informierte die Angehörigen des Komitees, er habe in Bälde Neuigkeiten für sie und überließ es ihnen, weitere Spekulationen anzustellen.
    Drei Monate vergingen ohne eine Nachricht aus England. Im Januar, dem fünften Monat, erfuhr Jean Standish, daß sie wieder schwanger war und das Kind Ende September zur Welt kommen sollte. Im dritten Monat ihrer Schwangerschaft entwickelte Jean beunruhigende Symptome - hoher Blutdruck, ein unerklärlicher Vorfall von Vaginalblutung - und bekam vier Wochen Bettruhe verordnet. Sie legte sich pflichtschuldig ins Bett. Am Ende dieser Zeitspanne, acht Monate nach seinem Antrag, erhielt Standish endlich die Zustimmung von Esswood. Für einen Zeitraum von drei Wochen würde ihm freier Zugang zu Isobel Standishs Manuskripten und allem anderen gewährt, das ihm hilfreich sein könnte. (»Wir sind strikt gegen unnötige Beschränkungen wissenschaftlicher Arbeit«, schrieb R. W., der sich nun als Robert Wall zu erkennen gab.) Robert Wall hatte einen brüsken Satz der Entschuldigung für die Verzögerung angefügt, die aber unerklärt blieb. Standish glaubte, daß sie das Stipendium für den August jemand anderem angeboten hatten, diese andere Person jedoch abgelehnt hatte. Oder sie hatten die Zusage widerrufen, wie bei Jeremy Starger und Chester Ridgeley. Das schien wahrscheinlicher. Der Schaden eines anderen kam seiner Erlösung gleich.
    Und es war eine Erlösung. Standishs Vorgesetzter verschob die endgültige Entscheidung über seine Zukunft am Zenith College um ein Jahr. In dieser Zeit sollte Standish seine Ausgabe von Isobels Werk vorbereiten, ein ausführliches Vorwort schreiben und die Publikation des Bandes vorbereiten.
    Jean war das letzte Hindernis gewesen. Woher willst du wissen, daß sie nicht in letzter Minute widerrufen? Vielleicht machen sie das immer so. Hast du je einen kennengelernt, der tatsächlich dort gewesen ist? Vielleicht ist der ganze Ort gar nichts weiter als ein Schwindel, vielleicht ist er nur ein Hirngespinst, vielleicht finden sie etwas über dich heraus. Warum brauchst du sie eigentlich? Aufgebracht und verängstigt weckte Jean ihn in der Nacht und bombardierte ihn mit Fragen, bis sie, nicht er, in
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