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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House
Autoren: Peter Straub
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gelegt, daß sie sich nicht mit denen von Theodore Corn überschnitten, den er verabscheute. (Lawrence bezeichnete Corn in Briefen an Bertrand Russell als »Mistkäfer« und »Made«.) Es überraschte Standish, daß Jeremy überhaupt wußte, daß es Esswood noch gab, und noch mehr überraschte es ihn, als er in einem der oberen Stockwerke der humanistischen Fakultät von Zenith in eine Ecke gedrängt wurde und gesagt bekam, daß er, Jeremy, als Esswood-Stipendiat »angenommen« worden sei. Für drei Monate, ab Anfang Juni. Zu der Zeit dachte Standish, der seine eigene Dissertation noch nicht abgeschlossen hatte und unter einem enormen Druck stand, sie endlich zu beenden, schon pausenlos an Esswood. Nach dieser Mitteilung wurde Jeremy in zunehmendem Maße unberechenbar, sagte seine Vorlesungen oft ab oder tauchte gar nicht auf. Eines Tages hatte Standish einen schmalen grauen Umschlag in Jeremys Postfach im Fakultätsgebäude gesehen, auf dem als Absender nur Esswood Foundation, Esswood, Beaswick, Lincolnshire aufgedruckt war. Er hatte eine Vorlesung gehalten und war gerade in dem Moment in das Büro zurückgekehrt, als der aufgeregte und jubilierende Jeremy den Umschlag aufriß und den Brief herausnahm. Standish bemerkte, daß er handschriftlich verfaßt war. Jeremy warf einen Blick auf das handgeschriebene Blatt, dann ließ er sich auf den Stuhl eines anderen Mannes fallen. Als er Standishs fragenden Blick bemerkte, lief er regelrecht dunkelrot an. »Sie haben es sich anders überlegt«, sagte er.
    »Oh nein«, sagte Standish. »Es tut mir leid.«
    »Na klar doch«, sagte Jeremy. »Die einzigen Empfindungen, zu denen Sie fähig sind -« Er verstummte und schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie. Ich bin außer mir. Ich kann es nicht glauben. Vielleicht liegt ein Fehler vor.« Er las den Brief noch einmal. »Wie konnten sie mir das nur antun?«
    »Ich habe schon munkeln gehört, daß sie unberechenbar sind«, sagte Standish, der somit selbst zum Munkler wurde - nach Jeremys Gemeinheit gab er sich steif und förmlich. »Nennen Sie einen Grund für die Aberkennung des Stipendiums?«
    »Wir sehen uns leider gezwungen, unsere Vereinbarung zu widerrufen«, las Jeremy vor. »Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die Ihnen das zweifellos bereiten muß, und verleihen unserem aufrichtigen Bedauern Ausdruck, daß wir Sie in diesem Sommer nicht in England empfangen werden.« Jeremy knüllte den Brief zu einer Kugel zusammen und warf ihn in den Papierkorb. Dann verließ er das Büro und machte sich zweifellos auf den Weg zum »Steinkrug«, dem Pub, das die Fakultätsmitglieder von Zenith bevorzugten.
    Einen Augenblick fragte er sich, ob jemand von Zenith Esswood oder den Seneschals geschrieben haben könnte, daß der eifrige D. H. Lawrence-Forscher Jeremy Starger wahrscheinlich mehr Zeit im dortigen Wirtshaus verbringen würde als in der berühmten Bibliothek; aber kein Mitglied des Lehrkörpers, nicht einmal er selbst, wäre zu so einer Gemeinheit fähig gewesen.
    Ein Jahr später ging der gestandene Alkoholiker Jeremy nach Oklahoma ins Exil, wo er Assistenzprofessor wurde, und William Standish wurde allmählich klar, wie förderlich ihm Esswood sein konnte. Die Studien der Gedichte, die die erste Frau seines Großvaters Martin geschrieben hatte, brachten ihn zu der Überzeugung, daß diese rastlose, ungeduldige, ganz und gar unbekannte Frau eine wichtige Vorläuferin der Moderne gewesen war - ein vergessenes Talent, nachrangig, aber bedeutsam. Wenn sie die Wochenenden in Garsington verbracht hätte, wenn sie in Garsington gestorben wäre, wo die Hälfte von Bloomsbuy, T. S. Eliot eingeschlossen, sie gefeiert, sie unter die engelhaften, maliziösen Fittiche genommen, sie vor allen Dingen gefördert hätte, so wäre sie heute eine berühmte Dichterin. Aber Isobel Standish hatte die Wochenenden mit Edith Seneschal verbracht, nicht mit Ottoline Morrell, und blieb unbekannt. (Theodore Corn verbrachte ganze Monate in Garsington, war aber im Vergleich mit Isobel nur ein wortgewandter Dummkopf.)
    Zu Lebzeiten hatte Isobel Standish nur ein Buch veröffentlicht, das schmale Bändchen Crack, Whack and Wheel , Brunton Press, 1912. Die Hälfte der Auflage von fünfhundert Exemplaren wurde Bibliotheken gespendet oder an Freunde verschenkt. Die restlichen verstaubten unbeachtet und unrezensiert in einer Kiste im Keller von Martin Standish in der Brunton Street in Duxbury, Massachusetts, der die Publikation des seltsamen kleinen
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