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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House
Autoren: Peter Straub
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mußte er sich ständig auf dem Stuhl von einer Seite zur anderen beugen. Alles an seinem Körper tat weh. Schließlich konnte er nicht mehr verhindern, daß seine Lider über die Augen heruntersanken, er ließ Kopf auf die schwankende Tischplatte sinken und schlief. Inmitten eines Hains von Bäumen hob ein leuchtendes Baby die pummeligen, strahlenden Hände und reckte den Kopf zu einem Kuß. Das Lächeln des Babys leuchtete. Standish streckte die eigenen zerschundenen und schmerzenden Arme aus, aber das dichte, seidige Gras fesselte seine Füße wie Seile und er konnte sich nicht bewegen. Blut troff von seinen Handflächen, da wandte sich das Baby ab und weinte.
    Standish weinte auch und erwachte mit einem nassen Gesicht, das er an die blutige Serviette um seine Hand schmiegte. »Oh Gott«, sagte er und stellte sich, während er sich aufrichtete, vor, daß er in die Bibliothek zurückkehren und sich an den Schreibtisch setzen und ein Buch über Isobel schreiben mußte. Dann breitete sich eine langsam anschwellende Flut der Erleichterung vom Epizentrum der Erinnerung daran aus, was er heute nachmittag in der Bibliothek getan hatte. Er war fast fertig.
    Er wischte sich das Gesicht mit der nassen Serviette ab und stand auf. Da erst sah er, daß er im Schlaf die Weinflasche umgeworfen hatte. Ein dunkler, glänzender purpurroter Fleck breitete sich fächerförmig über den ganzen Tisch aus. Vier oder fünf Zentimeter Wein befanden sich noch in der Flasche. Diesen schenkte er in das halbleere Glas ein und füllte es so abermals bis zum Goldrand. Ein überraschend geringer Teil von Isobels Leibgericht war auf dem Teller verblieben. Standish trank Wein und in seinem ganzen Körper loderten wieder Schmerzen auf.
    Die Axt lag neben dem Stuhl wie ein schlafendes Haustier; er bückte sich vorsichtig und streckte die Hand nach dem Stiel aus. Der Stiel glitt förmlich in seine Hand und schmiegte sich in die Mulde der Serviette.
    Standish schleppte sich durch Isobels geheimen Korridor zur Bibliothek. Er taumelte durch den großen, leeren Raum und machte den Haupteingang auf. Auf dem Teppich des Nebenzimmers lag eine große, gelbe rechteckige Schachtel mit Streichhölzern der Marke Swan.
    Standish kehrte mit den Streichhölzern in die Bibliothek zurück, lehnte die Axt an eine Säule und ging zum zweiten Erker. Er schob die Schachtel auf, worauf eine erstaunliche Anzahl von Streichhölzern auf den Berg von Blättern und Fotografien fiel. Einen Moment sah er die Schachtel vollkommen verständnislos an, dann begriff er, daß er sie verkehrt herum hielt. Er drehte sie um und sah, daß das andere, nicht geöffnete Ende der Schachtel immer noch Hunderte Streichhölzer enthielt. Standish holte eines der langen Streichhölzer heraus und strich mit dem Schwefelkopf über die Reibefläche auf der Seite der Schachtel. Das Streichholz loderte zu einer Flamme empor.
    Er bückte sich und hielt die Flamme an die Ecke eines Stücks Papier. Kaum hatte das Blatt Feuer gefangen, hielt er das Streichholz an ein weiteres Blatt auf dem Stapel. Dann warf er das brennende Streichholz weit in den Erker hinein, worauf ein dünner Rauchfaden senkrecht in die Luft aufstieg. Eine züngelnde Flamme folgte.
    Standish wich aus dem Erker zurück und sah zu, wie die Flammen die Papiere verschlangen - die Farbe der Regale wurde schwarz und warf kreisrunde Blasen, bis das Feuer aufloderte und sich das Holz unter der Farbe holte. Dann durchquerte er die Bibliothek und steckte die Papiere in dem anderen Erker in Brand.
    Er ließ die restlichen Streichhölzer auf den Boden fallen und verließ die Bibliothek durch den Haupteingang, den er hinter sich zumachte. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis er das geschäftige Prasseln des Feuers hören konnte; ihm blieb mehr als genug Zeit, um zu tun, was als nächstes getan werden mußte.
    Standish ging an den verwirrten Gespenstern vorbei in die Eingangshalle hinaus. Eine verschnörkelte Uhr auf dem Marmortisch zeigte an, daß es fünf vor zehn war. Inzwischen mußte es draußen dunkel sein. Standish wollte, daß es draußen dunkel wäre. Er schlenderte fast müßig durch den Durchgang mit den Wandbehängen und zog an der Eingangstür. Warme, samtene Dunkelheit begann am Rand des Lichts, das sich aus dem Haus ergoß, und verwandelte die Bäume jenseits der Einfahrt in einen soliden Wall, der von dem dunklen Boden bis zum leuchtenden Purpur des Himmels reichte. Oben funkelten mehr Sterne, als Standish jemals gesehen
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