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Essen kann jeder

Essen kann jeder

Titel: Essen kann jeder
Autoren: Philipp Weber
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die man als Beilage in Wasser kochen kann, nein, sie stehen beim Kaffee. Der Kaffee steht nicht beim Tee, sondern neben Apfelkompott. Das Apfelkompott grenzt nicht an die Einweggläser, sondern an die Kartoffelpuffer usw. Das ist klare Absicht! Sie sollen ja wie Odysseus durch den Supermarkt irren, bis Sie endlich feststellen, dass die Cornichons natürlich neben dem Essigreiniger zu finden sind. Denn bis dahin haben wir uns schon mit Klopapier, Fischkonserven und Teelichtern versorgt. Operieren Sie deshalb auch nie auf unbekanntem Terrain, und wechseln Sie nie den Supermarkt. Und wenn Sie ein Produkt entdeckt haben, notieren Sie sich den Fundort. Indiana Jones ist schließlich auch nicht ohne Karte in den Tempel des Todes gegangen.
    9. Auf allem, was mit Rabatten, Preisnachlässen und Gratiszugaben wirbt, steht für uns Kenner in dicken roten Lettern geschrieben: »Weiche, Satan!« Sie sind doch kein Sammler oder Jäger von Schnäppchen! Sie sind ein aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts, der seine Bedürfnisse nicht den Sonderangeboten von Herrn Tengelmann unterordnet. Ein ganz übler Trick ist übrigens, dass neben einem billigen ein sehr teures Produkt platziert wird. Der Spottpreis des einen Artikels scheint in unserem Hirn den Wucher des anderen zu relativieren. Wenn also eine elektrische Zahnbürste für 12,99 Euro neben einer Tüte Backerbsen für 49 Cent liegt, seien Sie wachsam. Niemand weiß das besser als ich.
    10. Die Gänge in Supermärkten sind so angelegt, dass man am Ende kurz vor der Kasse oder direkt an der Kasse noch an Süßigkeiten vorbeikommt. Das ist die sogenannte Quengelzone. Sie zielt natürlich auf die unschuldigsten Wesen in der grausamen Nahrungspyramide des Supermarktes: die Kinder. Um Ihr eigenes Fleisch und Blut zu schützen: Knebeln Sie Ihr Kind! Und das machen Sie am besten mit einem sehr großen Eis. Dieses kaufen Sie Ihrem Nachwuchs aber bereits vor dem Betreten des Supermarktes. Wenn dann der süße Milchschleimglibber auf die Flure rinnt, von den Rädern des Einkaufswagens von Regal zu Regal getragen wird oder gar das Vanillebällchen der Schwerkraft folgend auf den grünen Teppich der Obstabteilung klatscht und sich daraufhin ein Geschrei gen Himmel erhebt, bei dem selbst der Papageno vom Band aus den Gehörgängen fliehen will, dann, ja, dann wird nicht mal der gierigste Filialleiter wollen, dass Sie länger als nötig in seinem Supermarkt bleiben.
    Das sind die Grundlagen des »Supermarkt-Jiu-Jitsu«. Es ist natürlich noch eine sehr junge Selbstverteidigungskunst. 16 der 26 Kammern des Sidolin stehen im Grunde noch leer, wie Sie vielleicht bemerkt haben. Wenn Ihnen also weitere Kampfgriffe, Abwehrstrategien oder Schutzreflexe einfallen, tragen Sie sie in die Welt, und lassen Sie es mich wissen.

2 EHRT EUER ESSEN!

Wir befinden uns in »Ulis Frittenbude«. Fettdunst mischt sich mit Tabakqualm. Gedudel von Spieleautomaten. Profitrinker lal len im Hintergrund.
    »Philipp! Ist das dein Ernst? Pommes?«
    »Ich hätte wahnsinnig Lust auf Pommes!«
    »Ja, ich auch! So richtig gesund ist das nicht, oder?«
    »Nein, aber saulecker! Du kannst ja was anderes bestellen, Sanne!«
    »Bist du irre? Ich hab seit Wochen keine Pommes mehr gegessen! Ich bin total auf Entzug. Nachts träume ich von riesigen frit tierten Kartoffelstäben, auf denen ich durch den mayonnaise farbenen Sternennebel reite!«
    »Super, dann hau doch rein …! Eine Portion Pommes hat noch niemandem geschadet.«
    Wenige Minuten später: Sanne gebärdet sich wie ein Krümelmonster im Fressrausch.
    »Oh, Philipp! Ich glaub, ich brauch noch ’ne Portion!«
    »Iss doch erst mal die!«
    »Mach ich doch! Mach ich doch!«
    »Du isst nicht, du inhalierst dein Essen. Und warum setzt du dich nicht?«
    »Hinsetzen? Für Pommes??«
    Fletchern
    Wissen Sie, was Fletchern ist? Fletchern ist eine ganz besonders gründliche Kaumethode, die zurückgeht auf den englischen Ernährungsreformer Horace Fletcher. Jeder Bissen soll laut Fletcher 40- bis 50-mal mit den Zähnen bearbeitet werden, um die Nahrung vorzuverdauen und so die Gesundheit zu fördern. Eine echte Herausforderung. Versuchen Sie mal, Zuckerwatte 50-mal zu kauen! Der berühmteste Anhänger dieses Beißkultes war üb rigens Franz Kafka. Der hat alles bis zu 200-mal gefletchert. Komisch, dass seine Bücher trotzdem so schwer verdaulich sind.
    Heute wird nicht mehr gefletchert. Keiner kaut mehr richtig. Weil sich keiner mehr Zeit für sein Essen nimmt. Wenn ich da nur an
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