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Essen kann jeder

Essen kann jeder

Titel: Essen kann jeder
Autoren: Philipp Weber
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Zeiten, da brauchen wir auch eine mobile Esskultur. In Amerika wird Studien zufolge schon ein Fünftel der Nahrung im Auto verzehrt. Wobei das natürlich kaum verwundert. Wer schon mal im Lande der Freiheit war, weiß, dass es dort alles im »Drive-in« gibt. Nicht nur Drive-in-Restaurants. Es gibt Drive-in-Kinos, Drive-in-Supermärkte, Drive-in-Apotheken. (Vielleicht auch Drive-in-Fitnessstudios, wo man mit dem Wagen auf das Laufband gehoben wird.) Irgendwann wird man das Auto zeit seines Lebens gar nicht mehr verlassen müssen. Da rollt die Mama mit Presswehen zur Drive-in-Entbindungsstation, und am Ende seines Lebens fährt man zum Autofriedhof, wo man mit seiner Karre in der Schrottpresse landet. Und auch hier in Deutschland gibt es Tankstellen, die bereits mehr Geld mit dem Verkauf von Nahrungsmitteln verdienen als mit Benzin. Neulich habe ich zwischen Motorenöl und Schmuddelheftchen eine Palette Bio-Eier an der Tankstelle entdeckt. Wie lange die Eier noch bio sind, wenn sie ein paar Tage in einer Atmosphäre aus Dieseldunst und Benzinschwaden lagen, ist natürlich eine Frage, die nur Onkologen klären können.
    Wir haben gelernt: Überall und ständig locken heute kalorienhaltige Versuchungen. Und das ist nicht gut. Denn evolutionär sind wir Menschen nicht auf einen Überfluss von Nahrung ausgerichtet. Unsere äffischen Vorfahren haben ihre Körper in der Savanne entwickelt. Sand, karge Sträucher, hier mal eine Beere, da mal eine klapprige, altersschwache Gazelle … Da herrschte Mangel. Der Homo sapiens ist dazu gemacht, hungrig und mit gespannter Aufmerksamkeit durch die Welt zu schleichen. Der knurrende Magen ist der Warnlaut des überlegenen Jägers. Denn nachweislich sind wir Menschen mit leichtem Hungergefühl aufmerksamer und leistungsfähiger.
    Um meiner langen Rede endlich einen Sinn zu geben: Gute Ernährung bedeutet nicht nur zu wissen, was man isst, sondern auch, wie man es isst. Deshalb kommt hier mein persönlicher Essens-Knigge.
    → Mein Tipp
    Essen Sie, bis Sie keinen Hunger mehr haben, nicht bis Sie kurz vor dem Erbrechen sind. Wenn der Schweiß fließt und der Organismus an der Schweinshaxe arbeitet wie eine Python an einem japanischen Sumoringer, erst dann erhebt der Deutsche sich für gewöhnlich vom Tisch. Und essen Sie kleine Portionen. Aus möglichst kleinen Gefäßen. Am besten, Sie nähern sich jedem Buffet nur mit einer Untertasse in der Hand. Gehen Sie lieber zwanzigmal hintereinander, als dass Sie schon nach dem ersten Mal unter der Last der Kalorien zusammenbrechen. Denn Buffets sind die größten Fressfallen überhaupt. Hier kommt neben dem Hunger die Angst dazu, der Hintermann könnte auch noch etwas von dem Räucherlachs abbekommen. Ich war einmal in Ägypten in einem All-inclusive-Hotel, da hatte ich das Gefühl, die Gäste wollten nicht nur die Hotelkosten, sondern auch Anflug und Tauchausrüstung wieder reinfressen. Und bleiben Sie beim Essen sitzen. Rennen Sie beim Essen nicht sinnlos in der Gegend rum. Wie leicht könnten Sie stolpern und sich ein kross frittiertes Stück Pommes frites durch das Auge ins Hirn rammen! Nehmen Sie sich Zeit zum Essen. Wer sich gut und gesund ernähren will, muss lernen, sein Essen zu genießen. Denn erst der Genuss lehrt uns, dass Nahrungsmittel wertvoll sind, das Leben bereichern und Himbeereis am besten aus dem Bauchnabel geschleckt wird.



→ Futter für Fortgeschrittene
    Nehmen Sie ein Salatblatt und kauen Sie. Kauen Sie lange und gründlich. Schauen Sie dabei in den Spiegel – und wenn Sie irgendwann langsam aussehen wie eine Kuh, dann erst schlucken Sie.

Eine Reise zu den Tischsitten der Welt
    »Warum rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmecket?« Wir wissen nicht, ob dieser Satz von Martin Luther als ironischer Seitenhieb auf die mangelnden Manieren seiner Zeitgenossen ausgesprochen wurde oder als ehrliche Aufforderung, jegliche Befangenheit beiseitezulassen, um nicht nur die Atmosphäre am Tisch, sondern auch die Verdauungsgase zu lockern – möglich wäre beides. Die Gebräuche im Mittelalter waren roh und ungehobelt. Gegessen wurde mit bloßen Händen. Und ohne Regeln. Die Zustände müssen wirklich verheerend gewesen sein. Das erkennt man vor allem an den ersten zögerlichen Versuchen der Benimmschulen, die den wüsten Sitten Einhalt gebieten wollten. Denn was verboten wird, muss vorher geduldet gewesen sein. Erlaubt war eigentlich alles, was den Tischnachbar nicht unmittelbar körperlich bedrohte: sich
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