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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Autoren: Michel de Montaigne
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wenig, daß er es nicht mit Freuden für eine große Gnade genommen hätte. Ich bin nun freilich nicht von so un-oder übermenschlicher Gemütsart; gleichwohl habe ich ein paar Kinder, die noch in den Händen der Amme waren, verloren, in der Tat nicht ohne Betrübnis, aber doch ohne Murren. Auch gibt es wohl nicht viele Zufälle, die dem Menschen stärker an die Seele greifen. Ich sehe andre gewöhnliche Ursachen der Betrübnis genug, die ich kaum fühlen würde, wenn sie mir überkämen; und habe wirklich welche verachtet, die mir zugestoßen sind, denen die Menschen eine so schreckliche Gestalt geben, daß ich mich dessen gegen den gemeinen Mann zu gestehen, ohne rot zu werden, nicht wagen möchte. Ex quo intellegitur, non in natura, sed in opinione esse aegritudinem. 15
    Wer in der Welt wird wohl jemals mit solcher Begierde nach Sicherheit und Ruhe trachten, als Alexander und Cäsar der Unruhe und den Gefahren nachjagten? Teres, der Vater des Sitalces, pflegte zu sagen, wenn er keinen Krieg führe, so käm' es ihm vor, als ob zwischen ihm und seinem Stallknecht kein Unterschied sei. Cato, der Konsul, hatte, um sich einiger Städte in Spanien zu versichern, den Einwohnern bloß untersagt, Waffen zu führen, und darüber tötete sich eine große Anzahl. Ferox gens, nullam vitam rati sine armis esse. 16 Von wie vielen wissen wir nicht, daß sie den Annehmlichkeiten eines ruhigen Lebens in ihren Häusern, unter Freunden und Bekannten, entsagt und sich in schaudervolle, menschenleere Wüsteneien begaben, wo sie sich für die Menschen unnütz, verächtlich und verwerflich gemacht haben und dennoch darin bis zur Affektation glücklich befunden haben?
    Der Kardinal Borromäus, welcher neulich zu Mailand verstorben ist, führte, umringt von dem Wohlleben, wozu ihn seine hohe Geburt, seine Reichtümer und die italienische Sitte bei seiner Jugend einluden, eine so strenge Lebensart, daß derselbige Habit, den er im Sommer trug, ihm auch im Winter diente. Sein Bett war von bloßem Stroh gemacht, und die Stunden, die ihm von seinen Amtsverrichtungen übrigblieben, widmete er beständig dem Studieren. Er lag bei seinem Buch auf den Knien und hatte zu seiner Seite ein wenig Brot und Wasser stehen: dies war der ganze Vorrat zu seinen Mahlzeiten, und die einzige Zeit, die er darauf verwendete.
    Ich kenne Leute, die ganz wissentlich Vorteil von ihrer Hahnreischaft gezogen haben, deren bloßer Name so vielen Menschen Angst und Schrecken macht! Wenn der Sinn des Gesichts auch nicht der notwendigste unter den übrigen wäre, so ist er doch einer der angenehmsten. Die angenehmsten und nützlichsten unter unseren Gliedmaßen scheinen aber diejenigen zu sein, die zu unsrer Fortpflanzung dienen. Gleichwohl hat es Menschen genug gegeben, die dawider einen tödlichen Haß hegten, und zwar bloß deswegen, weil sie zu liebenswürdig wären, und haben sie verworfen, wegen ihrer Kostbarkeit. Ebenso dachte der von den Augen, der sich sie ausriß. Der größte und gesundeste Teil der Menschen hält viele Kinder haben für ein großes Glück. Ich und einige andre halten es für ein ebenso großes Glück, keine zu haben. Und als man den Thales fragte, warum er sich nicht verheirate, antwortete er, es wäre seine Sache nicht, Nachkommenschaft zu hinterlassen.
    Daß unsere Meinung den Wert der Dinge bestimme, erhellt schon daraus, daß es eine große Anzahl gibt, die wir nicht einmal darauf ansehen, ob sie einen Wert für uns haben möchten, und weder auf ihre Eigenschaften noch auf ihren Nutzen achten, sondern nur auf den hohen Preis, wofür sie zu haben sind: gerade, als ob das einen Teil ihres Wesens ausmache, und schätzen ihren Wert nicht nach dem, was sie in sich haben, sondern nach dem, wofür wir sie haben. Weshalb ich dann des Dafürhaltens bin, daß wir gar sparsame Haushälter mit unseren Auslagen sind; je wichtiger sie sind, je dienlicher, gerade weil sie wichtig sind. Unsere Meinung läßt solche niemals auf Rechnung der Unkosten bringen. Nach dem Kaufspreise hat der Diamant seinen Wert; nach dem Kampfe die Tugend, nach der Buße die Andacht und nach der Bitterkeit die Arznei.
    Jener, um zur Armut zu gelangen, warf seine Taler in eben dasselbe Meer, welches andre in allen Tiefen durchsuchen, um Reichtümer zu fischen. Epikur sagt: Reich sein erleichtert keine Geschäfte, es ändert sie nur. So viel ist wahr: Mangel macht keinen Geizigen, sondern der Überfluß. Über diese Sache will ich meine eigene Erfahrung mitteilen. Ich habe in
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