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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Autoren: Michel de Montaigne
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damit umgehen gelernt hätte, so gäbe er ihm solchen gern wieder.
    In diesen Umständen war ich einige Jahre. Ich weiß nicht, welcher gute Geist mich herausriß und mir den ganzen Spartopf, wie Dionysius dem Bürger von Syrakus, zum freien Gebrauch übergab. Das Vergnügen einer gewissen Reise, die mit großen Kosten verbunden war, hatte mich diese einfältige Grille unter die Füße treten lassen, wodurch ich in eine dritte Art von Lebensweise verfallen bin (ich spreche nach meinem Gefühl), die gewiß viel angenehmer und viel ordentlicher ist. Sie besteht darin, daß ich meine Ausgaben mit meiner Einnahme gleich laufen lasse. Zuweilen ist die eine ein wenig voraus, zuweilen die andre; aber so, daß sie sich immer leicht einholen können.
    Ich lebe von der Hand in den Mund und bin zufrieden, daß ich so viel habe, als zu meinen gegenwärtigen und täglichen Bedürfnissen erfordert wird. Zu den außerordentlichen – ja, da reichen alle Vorräte in der Welt nicht zu! Und es wäre unklug, zu erwarten, daß uns das Glück hinlängliche Waffen gegen sich selbst in die Hände geben werde. Wollen wir es bekämpfen, so muß es mit unsern eignen Waffen geschehen. Die zufälligen werden uns entstehen, wenn es zum Treffen kommt. Wenn ich spare, so geschieht es bloß in Hinsicht auf einen nahen Einkauf; und nicht auf einen Ankauf von Gütern, deren ich nicht bedarf, sondern um Vergnügen zu kaufen. Non esse cupidum, pecunia est; non esse emacem, vectigal est. 21 Ich besorge eben nicht, daß mir's am Nötigen fehle; habe auch keine Begier, es zu vermehren. Divitiarum fructus est in copia, copiam declarat satietas. 22 Und es ist mir sehr lieb, daß mir diese Weisung in einem Alter geworden sei, das so natürlich zum Geize geneigt ist; und daß ich mich von einer Torheit befreit finde, welche dem Alter so gewöhnlich und zugleich die lächerlichste von allen menschlichen Torheiten ist.
    Feraules, der beide Glückspunkte durchlaufen war und befunden hatte, daß der Zuwachs an Vermögen nicht immer einen Zuwachs an Appetit zum Essen, Trinken und Umarmen mit sich bringe, und der auf der andern Seite die Last des Haushaltens auf seinen Schultern empfunden hatte (so wie's auch bei mir geht), entschloß sich, einen jungen Menschen, der sein Freund, aber arm war und dem Glück nachjagte, glücklich zu machen, und machte ihm ein Geschenk von seinem ganzen Vermögen, das unermeßlich groß war, mit dem Zusatz alles dessen sogar, was er noch täglich von der Freigebigkeit seines gütigen Herrn und durch den Krieg erhalten möchte; unter der Bedingung, daß er ihn dagegen als einen Freund und Gast ehrlich halten sollte. Sie lebten hernach auf diesem Fuß sehr glücklich, und beide gleich zufrieden über die Vertauschung ihrer Glücksumstände.
    Das war einmal ein Handel, den ich herzlich gern nachmachen möchte. Und lobe ich mir nicht wenig das Glück eines alten Prälaten, von dem ich weiß, daß er sich ganz rein seines Säckels und seiner Ausgabe und Einnahme begeben, und zuweilen einem ausgewählten Bedienten, zuweilen einem andern übertragen hat; wobei er eine ziemliche Anzahl Jahre hingebracht, ebenso unwissend in dieser Art von Haushaltungsgeschäften als ein Fremder.
    Das Vertrauen in die Redlichkeit andrer ist kein geringer Beweis von eigner Redlichkeit; und Gott pflegt es gewöhnlich zu begünstigen; deswegen wüßte ich kein Haus, das ordentlicher und in allem Betracht würdiger und mit mehr Anstand geführt würde als das Haus dieses Prälaten. Glücklich derjenige, der nach einem so richtigem Maßstab seine Bedürfnisse geordnet hat, daß seine Reichtümer für seinen Gebrauch und seine Notdurft zureichen und daß ihre Anwendung ihn nicht in seinen übrigen Geschäften störe, denen er ruhig, mit Anstand und Beifall seines Herzens vorsteht. Wohlstand oder Mangel hängen also ab von der Meinung eines jeden. Und ebenso bringen Reichtum, Gesundheit und Ruhm nur gerade so viel Vergnügen und Behagen, als derjenige hineinlegt, der sie besitzt. Jedem ist wohl oder weh, je nachdem er sich darin zu finden weiß. Nicht derjenige ist zufrieden, von dem man es glaubt, sondern derjenige, der es selbst glaubt. Hierin allein gibt sich der Glaube Wesen und Wahrheit.
    Das Glück tut uns weder wohl noch übel: es gibt uns dazu bloß den Stoff und den Samen, die unsre Seele, die mächtiger ist als das Glück, nach ihrem Gefallen bearbeitet und anwendet; denn nur sie allein ist Urheberin und Schöpferin ihres glücklichen oder unglücklichen
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