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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Autoren: Michel de Montaigne
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hielt denjenigen für einen schlechten Menschen, so ein guter Bürger derselbe übrigens auch sein mochte, der unter seinen Feinden und selbst in der Feldschlacht seinen Freund oder nur Gastfreund nicht verschonte. Er hatte wirklich eine höchst vortreffliche Seele. Er vereinigte mit den härtesten, gewaltsamsten Handlungen der Menschheit Güte und Menschenfreundlichkeit, ja die allersanfteste, die man nur in der Schule der Philosophen lernen kann. War es Natur oder Kunst, welche diesen so großen Mut, der sich gegen Schmerz, Tod und Armut so mächtig steifte, bis zu dem Grade einer außerordentlichen Sanftheit und Gutherzigkeit abschliff? Fürchterlich durch Stahl und Blut beugte und demütigte er eine Nation, welche jedem unüberwindlich war, nur ihm nicht, und ließ mitten in dem Getümmel solcher Schlacht seine Freunde und Gastfreunde unversehrt davonkommen. Traun, der schickt sich wohl am besten zum Führer des Krieges, der solchem das Gebiß der Sanftmut im Augenblick seiner größten Hitze ins Maul legen kann, so erhitzt er auch sei und so sehr er vor Wut und Blutdurst schäumen mag. Es ist höchst selten, mit dergleichen Handlungen nur einigen Schein von Gerechtigkeit verbinden zu können; aber allein der Unbiegsamkeit des Epaminondas war es möglich, Sanftheit und Leichtigkeit der weichsten Sitten und der reinsten Unschuld damit zu verbinden. Pompejus sagte zu den Mamertinern, daß Statuten gegen bewaffnete Menschen keine Gültigkeit hätten, Cäsar zu einem Tribun des Volks, daß die Zeiten der Gerechtigkeit und die Zeiten des Krieges ganz verschieden wären, Marius, das Geräusch der Waffen hindre ihn, die Stimme des Gesetzes zu vernehmen; Epaminondas aber ward nicht einmal verhindert, die Stimme der Höflichkeit und Gesittetheit zu vernehmen. Borgte er nicht von seinen Feinden den Gebrauch, den Musen zu opfern, wenn er in den Krieg zog, um durch ihre holde Sanftmut die Heftigkeit und Wut des Krieges zu mildern? Laßt uns nach einem so großen Lehrer nicht fürchten, die Meinung zu gestehen, daß man sich gewisse Dinge selbst gegen den Feind nicht erlauben dürfe; daß das gemeinsame Interesse nicht alles von allen gegen das persönliche Interesse verlangen dürfe; manente memoria, etiam in dissidio publicorum foederum, privati juris 10 ;
     
    Et nulla potentia vires
    Praestandi, ne quid peccet amicus, habet 11 ,
     
    und daß einem Biedermann weder für den Dienst seines Königs noch für das allgemeine Beste und die Gesetze gleich alles erlaubt sei. Non enim patria praestat omnibus officiis, ... et ipsi conducit pios habere cives in parentes. 12 Es ist eine Lehrvorschrift zu rechter Zeit. Wir brauchen unsere Herzen nicht durch eiserne Klingen zu verhärten; genug, wenn unsere Schultern nur eisern sind, genug, daß wir unsere Federn in Tinte tunken, wozu soll das Schreiben mit Blut? Wenn es Größe des Mutes ist und Wirkung einer sonderbar ausgezeichneten, seltenen Tapferkeit, die Freundschaft zu verachten, seiner geselligen Verhältnisse, Verwandten und Zusagen wegen des allgemeinen Bestens und des Gehorsams gegen die Obrigkeit zu vergessen, so kann es uns wahrhaftig schon hinlänglich entschuldigen, wenn wir nach dieser Größe nicht sehr lüstern sind, daß sie sich mit dem Mut des Epaminondas nicht vertragen konnte. Ich verabscheue das wütende Aufhetzen jener andern schändlichen Seele:
     
    ...Dum tela micant, non vos pietatis imago
    Ulla, nec adversa conspecti fronte parentes
    Commoveant; vultus gladio turbate verendos. 13
     
    Laß uns den ruchlosen, blutgierigen und falschen Gemütern diesen Vorwand des Rechts benehmen! Fort mit dem ungeheuren Rechte, das an sich selbst nagt, und halten wir uns an menschlichere Nachbildungen. Wieviel vermögen nicht Zeit und Beispiele! In einem Scharmützel während des bürgerlichen Krieges gegen den Cinna hatte ein Soldat des Pompejus, ohne es zu wollen, seinen Bruder getötet, der sich in der Gegenpartei befand, und erstach sich selbst auf der Stelle vor Scham und Reue. Einige Jahre nachher, während eines andern bürgerlichen Krieges unter demselben Volk, begehrte ein anderer Soldat von seinen Anführern eine Belohnung dafür, daß er seinen Bruder getötet habe.
    Man urteilt nicht richtig von der Schönheit und Rühmlichkeit einer Tat, wenn man bloß auf ihren Nutzen Rücksicht nimmt, und es ist ein Fehlschluß, wenn man meint, wenn eine Tat nur nützlich sei, so sei gleich jedermann dazu verpflichtet, und sei sie für jedermann ehrlich:
     
    Omnia non
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