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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Autoren: Michel de Montaigne
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dreierlei verschiedenen Umständen gelebt, nachdem ich aufgehört hatte, ein Kind zu sein. Die erste Zeit, die ungefähr zwanzig Jahre gedauert haben mag, brachte ich hin, ohne etwas anders zu haben, als was vom Zufall und von dem guten Willen andrer abhing, und ohne im geringsten etwas Sicheres und Ausgemachtes, worauf ich rechnen können. Dem ungeachtet gingen meine Ausgaben ihren lustigen Gang fort und machten mir um so weniger Sorgen, weil sie ganz auf der Verwegenheit des Glücks beruhten. Ich war niemals besser daran. Nie fand ich den Beutel meiner Freunde vor mir verschlossen. Ich wußte von keiner andern Not, als die ich mir selbst machte; die Not, auf den Tag mit der Zahlung einzuhalten, den ich mir gesetzt hatte, welchen sie mir tausendmal weiter hinausgesetzt haben, weil sie die Mühe sahen, die ich mir gab, Termin zu halten; so daß mich meine Ehrlichkeit sparsam, aber nicht knickerig machte.
    Ich fühle von Natur eine große Wollust im Bezahlen, gleichsam als ob ich eine drückende Last von meinen Schultern und das Zeichen dieser Dienstbarkeit abwürfe; ebenso wie mir wohl ums Herz wird, wenn ich eine gerechte Handlung ausrichte und jemandem einen Gefallen tue. Die Zahlungen nehme ich jedoch aus, wobei es zu feilschen und abzudingen gibt; denn, wenn ich niemand zu finden weiß, dem ich solche auftragen kann, so schiebe ich sie schändlicher-und unbilligerweise so lange auf, als ich nur kann, aus Furcht vor dem Gezänke, womit meine Laune und mein Ton der Sprache sich gar nicht vertragen. Ich hasse nichts so arg als dies Dingen; es ist ein bloßes Gewerbe der Prellerei und der Unverschämtheit. Nach einer Stunde Ablassens und Zulegens vergißt der eine und der andre sein Wort und seinen Schwur um fünf Dreier mehr oder weniger. Und wenn ich mit Schaden borgte (denn wenn ich nicht das Herz hatte, jemand mündlich anzusprechen, so setzte ich das Gesuch zu Papier, welches nicht eben großen Eindruck zu machen pflegt und das Verweigern sehr erleichtert), nun so legte ich die Führung meines Handels viel unbesorgter und freier in die Hände eines andern, als ich's nachher in meine eigne Klugheit und Vorsichtigkeit getan habe. Die meisten Haushälter halten es für etwas sehr Schlimmes, so aufs ungewisse zu leben, und bedenken erstlich nicht, daß der größte Haufen der Menschen auf keine andere Art lebt. Wie viele ehrliche Männer haben nicht ihr gewisses Einkommen an den Nagel gehängt und tun es noch täglich, um den Wind der Gunst des Königs oder des Glücks zu suchen? Cäsar steckte sich in Schulden von einer Million Goldes mehr, als sein Vermögen betrug, um Cäsar zu werden. Und wie viele Kaufleute beginnen nicht ihr Gewerbe mit dem Verkauf ihres Meierhofes, um das Geld nach Indien zu schicken!
     
    Tot per impotentia freta! 17
     
    Bei einer so großen Dürre an Frömmigkeit haben wir tausend und aber tausend Klöster, die ganz gemächlich daran sind, ob sie gleich täglich von der Freigebigkeit des Himmels erwarten, daß er sie speisen werde. Zweitens, so erwägen sie nicht, daß das gewisse Einkommen, worauf sie sich verlassen, nicht viel weniger ungewiß ist als die Ungewißheit selbst.
    Bei mehr als zweitausend Talern Einkommen sehe ich den Mangel ebenso nahe, als ob er mir schon auf den Versen wäre. Denn überdem, daß das Schicksal Mittel hat, der Armut hundert Öffnungen durch den Reichtum zu machen, indem oft zwischen dem höchsten und niedrigsten Glücksstand kein Finger breit Raum ist:
     
    Fortuna vitrea est: tum, quum splendet, frangitur. 18
     
    Das Schicksal kann alle unsre Graben und Wälle, wohinter wir uns schützen wollen, gar leicht zerstören; ich finde, daß der Mangel, aus verschiedenen Ursachen, sich ebenso gewöhnlich bei solchen Personen einstellt, welche Vermögen haben, als bei denen, welche keins haben; und daß er allenfalls noch weniger drückend ist, wo er allein hauset, als wo er sich in Gesellschaft des Reichtums antreffen läßt. Reichtum besteht mehr in der Ordnung als in der Einnahme: Faber est suae quisque fortunae. 19 Und scheint mir ein Reicher, der zurückkommt, in Mangel und Geldverlegenheit gerät, viel elender daran zu sein als einer, der geradezu arm ist. In divitiis inopes, quod genus egestatis gravissimum est. 20 Die größten und reichsten Prinzen werden gewöhnlich von Mangel und Armut in die äußerste Not versetzt. Denn kann eine Not größer sein als die, vermöge welcher man ein Tyrann wird und ein ungerechter Räuber der Güter der
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