Eskandar: Roman (German Edition)

Wächterrat zugelassen sein.
    Bist du sicher, dass du diese Frage senden kannst?, fragt Eskandar-Agha.
    Genervt hält der Kameramann die Kamera abermals an und wechselt die Kassette.
    Dieses Mal wartet Eskandar-Agha auf ihn.
    Stell dir vor, was passiert wäre, wenn die Farangi uns in Ruhe gelassen hätten, und wir hätten unsere Demokratie aufgebaut.
    Ja? Was wäre dann?, fragt Aftab.
    Dann hätten andere Länder es uns nachgemacht, und jeder würde über sein eigenes Petroleum, seine eigenen Bodenschätze und sein eigenes Schicksal entscheiden, und kein Engelissi und kein Amrikai hätte bei uns oder in einem anderen Land so viele Reichtümer verdient. Nein, mein Kind, sagt Eskandar-Agha, die Welt, in der wir leben, hat keinen Platz für Freiheit.
    Also verhindert das Petroleum Freiheit?
    Habe ich dir schon erzählt, dass ich dabei gewesen bin, als es aus dem Boden geschossen kam?, fragt Eskandar-Agha, hält inne und sagt, aber ich erinnere mich nicht mehr, wie es gewesen ist. Das müssen wir in meinen Notizen nachlesen, da habe ich alles aufgeschrieben.
    Agha-Bozorg, schon unterm Schah konnte man niemandem trauen, weil der SAVAK alles gesehen und gehört hat und Gegner des Königs ins Evin-Gefängnis geworfen hat.
    Eskandar-Agha klopft mit seinem Stock auf und erinnert sich mit einem Mal an den Krummen-Morad, der es genauso gemacht hat, und er muss lachen.
    Wie schafft es ein über Hundertjähriger, sich auf dem Laufenden zu halten?
    Statt ihre Frage zu beantworten, lächelt Eskandar-Agha in die Kamera und sagt: Komm her, mein Kind, ich will dich küssen, du bist eine wunderbare Enkelin.
    Das machen wir nachher, wehrt Aftab gerührt ab und fragt: Wie haben Sie es geschafft, die Hoffnung niemals aufzugeben?
    Hilf mir, sagt Eskandar-Agha. Ich will stehen. So muss Aftab schließlich doch zu ihm und er zieht sie zu sich heran und küsst sie auf die Stirn.
    Dann sagt Eskandar-Agha: Bis zum heutigen Tag hat es zu allen Zeiten immer mutige Menschen gegeben, für die Freiheit einen höheren Wert gehabt hat als alles andere. Sie haben gekämpft, und sie haben ihr Leben gegeben. Wie meine Tochter, deine Mutter-Sahra, sagt Eskandar-Agha, während Tränen in seine Augen kommen. Solange es in unserem Land und in der Welt Menschen gibt, die nur leben können, wenn ihr Leben in Freiheit ist, gibt es Hoffnung, sagt Eskandar-Agha und lächelt.
    Sind Frauen mutiger als Männer?, fragt Aftab.
    Das sind sie, antwortet Eskandar-Agha. Frauen sind die besseren Kunden im Basar, und Frauen geben nicht so leicht auf wie Männer. Und das, obwohl sie wissen, was sie in den Gefängnissen und Folterkammern dieser Welt erwartet.
    Agha-Bozorg, bitte verraten Sie uns, welches ist das erste Farangi-Wort gewesen, das Sie gelernt haben?, fragt Aftab ihren Großvater grinsend.
    Das kannst du getrost senden, sagt Eskandar-Agha, und seine alten Augen blitzen, als er grinst und sagt: faack.

Kein Nachwort, aber ein Wort danach
     
    Heute haben wir meinen Großvater Eskandar-Agha zu Grabe getragen. Er ist über hundert Jahre alt geworden. Seinem hohen Alter zu Ehren wird das Nationale Fernsehen, aber auch zwei oder drei ausländische Sender einen Bericht über ihn und sein Leben senden.
     
    Gestern Abend, als ich ihn zu Bett gebracht habe, hat er nicht wie sonst gesagt: Und vergiss nicht, mich morgen früh zu wecken.
    Er hat gesagt: Und weck mich morgen früh nicht.
     
    Heute Morgen, als ich in sein Zimmer kam, hat er nicht mehr geatmet.

Danke
     
    den Frauen und Männern in meiner Heimat Iran, ich vermisse Euch, die Berge, das Wasser, die Luft, die Sonne
     
    Arian und Omid, dafür, dass ich euch noch immer mit ganzem Herzen und meiner ganzen Schwesternliebeskraft lieben darf; und auch Danke an Karin und Sandra
     
    Tarek und Julian, von euch lerne ich wieder und wieder, es ist ein Spiel, es soll Spaß machen, und auch das Unmögliche ist eben doch möglich
     
    meinen Eltern, trotz allem habe ich von euch gelernt, mich vom Glanz und Schein der Krone nicht blenden zu lassen und auch dorthin zu gucken, wo die Menschen es nicht so gut haben wie ich
     
    Roland Roth, für deine Liebe, alles andere und wieder und wieder für das NOW
     
    Bahram Beyzaii, nicht nur ein Cousin, sondern auch einer der besten Filmemacher des Iran und für mich wieder und wieder eine Inspiration, immer der Anfang, immer dabei
     
    meinen anderen persischen Cousinen und Cousins, Onkels und Tanten, ihr zeigt mir, es geht weiter und nach jedem Ende beginnt etwas Neues
     
    Uli