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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition)
Autoren: Siba Shakib
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Bildern spricht, nicht lange überlegen: Menschen, wie bunte Blumen, die man abgeschnitten und auf die Gehwege und in die Gassen gelegt hat.
    Sie nennt ihren Film Der Schlüssel zum Paradies und zeigt ihn an der Universität und sogar in einem richtigen Kino. Der Film beginnt mit einer Explosion. Saddam bombardiert den Süden des Landes. Die Ölförderanlagen sind zerstört. Aber auch Bilder von zerbombten Gegenden in Teheran und anderen Städten zeigt sie. Dann sind Jungen zu sehen, die einen Plastikschlüssel um den Hals gehängt bekommen, auf die Ladefläche von Lastwagen klettern, lange fahren, auf der Ladefläche ihre Köpfe aneinenderlehnen oder sich gegenseitig in den Schoß legen und erschöpft einschlafen. Im Süden des Landes steigen sie aus und gehen in Minenfelder.
    Der Schlüssel um ihren Hals öffnet den Jungen das Tor zum Paradies, erklärt ein Offizier.
    Acht lange Jahre werden auf beiden Seiten eine Millionen Menschen getötet. Die Grenze zwischen den beiden Ländern verschiebt sich um keinen Millimeter.
    Die Menschen haben sich längst wieder an die knappen Waren, den Stromausfall, eine Verwaltung, die nicht funktioniert, den Hunger und die täglichen Bombardierungen, die Verletzten und Toten gewöhnt.
    Doch dann vergeht auch das, und eines Tages kommt Aftab zu Eskandar-Agha gerannt. Agha-Bozorg, Großvater, ruft sie, der Krieg ist zu Ende. Jetzt können wir anfangen, unsere Heimat wiederaufzubauen.
    Eskandar-Agha sieht von seiner Schreibarbeit auf, streicht seiner Enkelin über den Kopf und nickt.
    Die meiste Zeit ihres Schullebens hat Aftab im Krieg verbracht, trotzdem schafft sie ihren Abschluss.
    Das sind gute Noten, sagt ihr Großvater stolz. Und was willst du nun werden?
    Ich werde wie Sie und Tante-Nimtadj Geschichtenerzählerin, antwortet Aftab.
    Ist das inzwischen ein richtiger Beruf, für den man richtiges Geld bekommt?
    Ich denke schon.
    In diesem Fall wird es also möglich sein, diesen Beruf an der Universität zu studieren?
    Ich denke schon.
    Worauf wartest du dann noch?, fragt ihr Großvater. Schreib dich ein, und fang an zu lernen, was es für dich zu lernen gibt. Und wenn du Fragen hast, komm zu mir. Schließlich bin ich der erste Geschichtenerzähler in der Familie.
    Aftab liest die Notizen ihres Großvaters, ordnet die Fotografien, macht neue Abzüge von Bildern, die inzwischen vergilbt sind; sie öffnet Umschläge, fertigt Fotokopien von Zeichnungen und beschriebenen Zetteln an; sortiert alles im Sinne der staatlichen Zensur in unbedenklich und bedenklich und filmt und fotografiert die Kartons und Kisten und ihren Inhalt.
    Fünf Jahre später gibt Aftab ihre Abschlussarbeit ab: Damit Erinnerungen nicht verloren gehen oder vom Wert persönlicher Aufzeichnungen für die Entwicklung der Gesellschaft.
    Mit ihrem Abschlusszeugnis der Teheraner Universität bewirbt sie sich bei Zeitungen und Verlagen, beim Hörfunk und schließlich beim staatlichen Fernsehen und bekommt eine Anstellung. Sie erstellt Reportagen und Dokumentationen.
    Im Jahr darauf fliegt Aftab mit ihrer Tante-Nimtadj in den Süden des Landes und macht ihren ersten eigenen Dokumentarfilm: Auf den Spuren meiner Mutter. Das Wasser und die Schlangen des Südens.
    Noch bevor das erste Bild zu sehen ist, hört man das leise Plätschern von Wasser, dann wird die Leinwand grell, und das erste Bild erscheint. Kilometer für Kilometer sieht man nichts als Wasser. Auf den zweiten Blick erkennt man, es ist eine Überschwemmung, denn aus dem Wasser ragen Häuser heraus, Sträucher, Felder, auf denen das Korn noch steht, und Bäume.
    Saddam Hussein staut das Wasser des Flusses, der aus dem Iran kommt und weiter in den Irak fließt, sagen die Leute in die Kamera. Dadurch werden hier bei uns Straßen und Wege, Wiesen und fruchtbare Felder, von denen wir uns ernährt haben, unsere Häuser und Hütten überschwemmt. Unser ganzes Leben, unsere Existenz steht unter Wasser, sagt ein alter Mann, schiebt seine Brille zurecht und sieht Aftab schweigend an. Das Wasser glitzert in der Sonne und sieht sogar anmutig aus, und es erinnert an die Reisfelder des Nordens.
    In der nächsten Einstellung sieht man in der Ferne mitten im leuchtenden Wasser kahle Bäume, an denen eigenartige lange Girlanden hängen. Als die Kamera näher an die kahlen Äste heranzoomt, erkennt man, die Girlanden sind Schlangen.
    Um sich in Sicherheit zu bringen, retten sie sich auf Bäume, erklärt ein Fischer, der Aftab und ihren Kameramann auf seinem Boot hinaus auf die
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