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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition)
Autoren: Siba Shakib
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überschwemmten Felder begleitet. Tagelang hängen sie wie Schmuckketten in unterschiedlichen Größen und Farben an den Ästen, bis sie erschöpft sterben, ins Wasser fallen oder tot an den Ästen hängen bleiben, sagt der Fischer.
    Als ihr Vater Alexander ihren Film sieht, schreibt er seiner Tochter auf einen Zettel, den er ihr unter der Tür herausschiebt: Deine Mutter wäre stolz auf dich, und auch ich bin stolz, dich als Tochter zu haben, auch wenn ich weiß, dass ich keinen Anteil an deiner Entwicklung gehabt habe.

Eskandar-Agha wird berühmt
     
    N un ist mein Agha-Bozorg einhundert oder sogar noch mehr Jahre alt, schreibt Aftab. Mein Großvater ist eingefallen, aber er lebt, und sein Verstand funktioniert bestens. Manchmal habe ich den Eindruck, er funktioniert besser als mein beinah dreißig Jahre junger Verstand.
    Das Leben und die Jahre, Unruhen, Kriege, Revolutionen, hohe Preise, Bestechungsgelder und die Krankheit meines geliebten Vaters haben so sehr an dem Vermögen meiner Großmutter-Roxana gezehrt, dass wir das große Haus und den Park verkaufen mussten.
    Meine Großmutter-Roxana und ihr Farrokh-Agha sind froh, nicht mehr in dem alten, zugigen Gemäuer leben zu müssen, Hauptsache, sie können zusammenbleiben.
    Mein armer kranker Vater-Alexander bekommt ohnehin nicht mehr mit, wo er lebt, er verlässt das Haus und sogar sein Zimmer so gut wie nie, denn er erträgt die Nähe von Menschen nicht. Hauptsache, man lässt ihn in Ruhe, er kann seine Bücher und vor allem unsere Notizen und Aufzeichnungen lesen und unsere Filme und Fotos begutachten und kommentieren.
    Meine Tante-Nimtadj tut mir leid, und ich kann ihr nicht so recht glauben, dass es ihr gut geht. Ich fürchte, sie hat ihr gesamtes Leben meiner Großmutter-Roxana und ihrem Bruder Alexander, also meinem Vater, geopfert.
    Mein Großvater, Eskandar-Agha, ist mit allem einverstanden. Hauptsache, ich, seine Enkelin, und die anderen, die er zu seiner Familie zählt, sind in seiner Nähe, und er hat ein Radio und einen Fernseher, die ihm von morgens bis abends Geschichten erzählen, die er dann wiederum uns erzählt, auch wenn wir selber dabei gewesen sind, sie selber mit angesehen und gehört haben.
    Und ich? Mir fehlen der große Park, die alten Bäume, die Rosen, aber ich mag das neue Haus. Der Ortswechsel wird mich und uns alle auf neue Gedanken bringen. Für mich ist die Hauptsache, ich kann bei meiner Familie sein und meine Arbeit machen. Beides liebe ich und ehrlich gesagt gibt es ja auch keinen Unterschied zwischen meinem Leben und meiner Arbeit. Jeder Einzelne in der Familie ist so reich an Geschichten und Erlebnissen, dass ich noch Jahre über sie in meinen Filmen und Berichten erzählen kann.
    Gerade mache ich einen Film zum Thema Schizophrenie und Depression und stelle dafür das Leben meines geliebten Vaters nach. So hat auch er Anteil an meinem Leben und an meiner Entwicklung. Das wird ihn freuen.
    Unser neues Haus liegt noch nördlicher als das alte. Hier gibt es noch Kühe und Schafe, Hühner und Hähne, Schottergassen ohne Asphalt. Eskandar-Agha sagt, hier ist es wie in seinem Dorf ohne Namen. Selbst der Bach und der große Baum in der Dorfmitte erinnern ihn an seine Kindheit. Und er hat mir Zeichnungen gezeigt, die er vor vielen Jahren angefertigt hat. Irgendwann werde ich auch die benutzen.
    Ich genieße diese Idylle und komme mir manchmal vor, als würde ich zusammen mit meiner Großmutter-Roxana und Eskandar-Agha in ihrer Vergangenheit leben, die mit der Zeit immer verklärter und schöner wird.
    Natürlich wird unser Haus nicht das einzige moderne in diesem Dorf bleiben. Schon bald werden noch mehr große und moderne Häuser mein kleines Idyll verdrängen, und die Hauptstadt wird sich immer weiter hinauf in die Berge fressen. Ich sollte mich beeilen und alles filmen, bevor das passiert.
    Mein Großvater-Eskandar sagt, ich soll nicht traurig sein, die Zeiten verändern sich, und wir müssen uns mit ihnen verändern.
    Bis auf meinen Vater-Alexander halten wir uns alle die meiste Zeit hier im großen Salon mit seinen riesigen Fenstern zum Garten hin auf. Wir essen hier, sitzen beisammen, diskutieren und sehen fern, und vor allem scheint jeder von uns ständig an irgendwelchen neuen Geschichten zu arbeiten.
    Was schreibst du?, ruft Eskandar-Agha mit dünner Stimme seiner Enkelin zu.
    Ich schreibe, dass wir alle immerzu in diesem Zimmer hocken, statt hinauszugehen und unsere müden und alten Knochen zu bewegen, antwortet
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