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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition)
Autoren: Siba Shakib
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organisiert hat, vergeht beinah ein halbes Jahr. Schließlich aber stehen sie vor der Raffinerie in Abadan, die Kamera ist aufgebaut, Aftab hat einen Klappstuhl für Eskandar-Agha aufgestellt, der aber besteht darauf, ihre erste Frage stehend zu beantworten.
    Zu Ehren der wahren Helden unserer Heimat, erklärt er in die Kamera, will ich stehen. Die wahren Helden sind die streikenden Ölarbeiter und Busfahrer, Sie setzen sich für bessere Lebensbedingungen ein. Sie kämpfen für ihr Recht. Sie gehen das Risiko ein, verhaftet zu werden und im berüchtigten Trakt 209 des Evin-Gefängnisses zu landen.
    Agha-Bozorg, bitte, Sie wissen doch, dass ich so was nicht senden kann, sagt Aftab lachend. Es sei denn, Sie wollen, dass wir allesamt verhaftet und ebenfalls in besagtem Trakt landen.
    Das wäre doch eine Nachricht wert, sagt Eskandar-Agha, wenn sie einen über hundert Jahre Alten wegen politischem Verrat oder sonst was hinter Gitter bringen.
    Agha-Bozorg, mahnt Aftab und lacht jetzt nicht mehr.
    Dann hebst du die Aufnahme eben auf, antwortet Eskandar-Agha. In meinen Kisten ist noch eine Menge Platz. Auf diese Weise geht die Erinnerung nicht verloren. Und wer weiß, sagt er. Vielleicht kommt ja die Freiheit doch noch eines Tages in unsere Heimat, und dann kannst du es senden.
    Nachdem der Kameramann die Kassette ausgetauscht hat, sagt Aftab, Sie sind einer der ältesten Menschen unseres Landes -
    Und der Welt, unterbricht Eskandar-Agha sie.
    Und Sie haben schon alle möglichen Menschen und Herrscher kommen und gehen sehen. Wie ist Ihrer Meinung nach ein echter Iraner?
    Du bist doch meine Enkelin, und wir sind zusammen in Persepolis gewesen, antwortet Eskandar-Agha, worauf der Kameramann Aftab einen genervten Blick zuwirft.
    Agha-Bozorg, bitte beantworten Sie einfach nur die Frage, es ist nicht nötig, dass die Leute wissen, dass Sie und ich verwandt sind.
    Also, bist du nun dort gewesen?
    Ja, bin ich.
    Siehst du, und dort kannst du ganz genau sehen, was Iraner für Menschen sind. In allen Skulpturen, Reliefs und nachgestellten Szenen, die du dort siehst, findest du keine Gewalt, keine Waffen, keinen Hass. Stattdessen findest du Menschen aus aller Herren Länder vereint und mit der Hand auf der Schulter eines Fremden, in Freundschaft und in Frieden.
    Agha-Bozorg, seither sind mehr als 2500 Jahre vergangen.
    Willst du nun meine Meinung oder doch lieber deine eigene?, fragt Eskandar-Agha und lässt sich nun doch in den Stuhl sinken, worauf der Kameramann das Stativ niedriger stellen und seine Kamera neu einrichten muss.
    Darauf wartet Eskandar-Agha allerdings nicht, er erzählt einfach weiter. Alexander der Große, von dem ich meinen Namen habe und der Takhte-Jamshid oder, wie die Farangi es nennen, Persepolis zerstört hat, ist nur einer von vielen gewesen, die unsere Heimat überfallen haben. Also mussten Iraner sich seit jeher und wieder und wieder auf Krieg, Invasoren und neue Herrscher und Besatzer und ihre Kulturen und Gewohnheiten einstellen. Was, glaubst du, macht das mit einem Menschen?, fragt Eskandar-Agha und wartet.
    Sagen Sie es uns, bittet Aftab geduldig.
    Es macht einen Menschen vorsichtig, und es macht ihn flexibel und biegsam. Ghengis-Khan, die Mongolen, Alexander, die Moslems, die Briten, die Russen, die Amerikaner, sie alle sind in unser Land eingefallen, und wir haben es wieder und wieder geschafft, uns anzupassen, damit wir nicht vernichtet werden und untergehen.
    Aber Alexander der Große hat die persische Prinzessin Roxana geheiratet, wendet Aftab ein. Und er hat seinen Männern befohlen, es ihm gleichzutun, und sie haben in einer Massenzeremonie persische Frauen geheiratet. Also haben nicht wir uns seiner, sondern er hat sich unserer Kultur angepasst.
    Weil er erkannt hat, dass unsere Kultur wertvoll ist, antwortet Eskandar-Agha zufrieden.
    Gewesen ist. Agha-Bozorg. Wie gesagt, 2500 Jahre sind eine lange Zeit. Also gut. Lassen wir das.
    Wusstest du, dass das persische Großreich, der Iran, das jemals größte Reich der Welt gewesen ist?, fragt Eskandar-Agha stolz. Wir waren die erste Großmacht der Welt, die religiöse und kulturelle Freiheit praktiziert hat. Und unser König Cyrus hat die erste Charta der Menschenrechte verfasst und danach regiert. Er hat gesagt: Ich werde niemals Krieg führen, um regieren zu können.
    Und heute?, fragt Aftab noch immer geduldig. Heute werden Minderheiten verfolgt, es gibt nur eine Partei, und Präsident darf nur ein Mann werden, und der muss auch noch vom höchsten
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