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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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so.«
    »Ich will ihn ja auch nicht einfach so kaufen.«
    »Und ich kenne Sie eigentlich gar nicht.«
    »Okay, lernen Sie mich kennen.«
    »Soll das ein Scherz sein?«
    Nein, das ist kein Scherz. Ich bin bereit, eine Menge zu tun. Wenn es sein muss, starte ich ein Kennenlernprogramm der Extraklasse, ich mache einen Seelenstriptease. Ich werde ihr mehr Details von mir verraten als in jedem Bewerbungsgespräch. Ich packe aus – komplett. Körpergröße, Gewicht, politische Neigungen, Lieblingssendungen, Lieblingsbücher, Mordphantasien, Lieblingsobst, Lieblingskäse, Sockenwechselfrequenz – alles! Ich will Friedhelm!
    »Okay, gehen Sie mit mir essen«, schlägt Bärbel vor.
    »Wann?«
    »Wenn ich fertig bin.«
    »Wann ist das genau?«
    Sie lächelt. Ein Teilerfolg.
    »In zwei Stunden. Ich muss erst die anderen Esel fertig machen.«
    »Wo?«
    Bärbel lacht. »Der war gut. In Flieth-Stegelitz ist die Auswahl nicht sehr groß.«
    »Umso besser.«
    »Es gibt nur eine Gaststätte.«
    »Wunderbar, die nehmen wir.«
    »Ja, die nehmen wir. Machen Sie dann Friedhelm fertig? Seine Hufe haben es nötig.«
    »Natürlich.«
     
    Die Eselsburg ist nur mäßig besucht. Der Wirt und zwei weitere Gäste mustern uns unentwegt, in der Hoffnung, endlich mehr über den Grund unseres Besuches zu erfahren. Die Gaststätte macht einen soliden Eindruck, gehört jedoch zu den Exemplaren, die noch nie bessere Zeiten erlebt haben, aber noch immer davon träumen. An der Wand hängen ein paar Fußballwimpel von Vereinen, die ich nicht kenne, deren Namen allerdings auffällig oft mit Lokomotive, Turbine oder Dynamo anfangen.
    Bärbel und ich sitzen in einer Ecke der Eselsburg und warten auf unsere Soljanka.
    »Ich kann mich noch an Ihre Frau erinnern«, sagt Bärbel.
    Ich auch.
    »Sie klang sehr nett am Telefon.«
    Ja, das kann sie.
    »Ist noch gar nicht so lange her, dass sie die Reise für Sie gebucht hat. Sie hatte Glück, war nämlich gerade noch ein Esel frei geworden.«
    Friedhelm, alles ist Schicksal.
    »Wissen Sie, was Ihre Frau mir gesagt hat?«
    »Nein, weiß ich nicht.«
    »Sie seien ein wenig speziell.«
    »Speziell?«
    »Habe ich mir gemerkt, speziell sagt hier nämlich keiner. Ich habe nachgefragt, was sie damit meint, und sie hat gesagt, Sie sind Lehrer.«
    »Und weiter?«
    »Nichts weiter, sie meinte, das würde reichen, um ›speziell‹ zu verstehen.«
    »Tja, wenn sie das meint – und was war Ihr Eindruck?«
    »Von Ihrer Frau?«
    »Von mir? Speziell?«
    »Na ja, auf den ersten Blick sahen Sie aus wie alle, die sich bei mir einen Esel leihen.«
    »Und auf den zweiten Blick?«
    »Auch.«
    Wer auch immer in der Küche die Soljanka für uns aufwärmt, der Wirt hat damit nichts zu tun. Er fixiert mich mit einem frostigen Blick, keineswegs froh, endlich einen Gast zu haben, der hier mehr verzehrt als nur ein Bier am Tresen wie die anderen beiden Gäste.
    »Kennen Sie den näher?« Ich lenke Bärbels Blick unauffällig zum Wirt.
    »Ja.«
    »Warum starrt der mich so an?«
    »Soll ich ihn fragen?«
    »Bloß nicht. Ich frage lieber Sie.«
    »Er ist mein Vater.«
    Natürlich.
    »Warum ist Ihre Frau eigentlich nicht mitgekommen?«
    »Wollte sie das?«, frage ich schlagartig interessiert.
    »Nein, sie hat ausdrücklich nur für Sie gebucht.«
    »Ich weiß es nicht. Schon ungewöhnlich, oder?«
    »Eigentlich nicht.«
    Der Wirt ist verschwunden.
    »Eigentlich machen meistens Singles die Reise.«
    Stimmt, kann ich bestätigen. Gerne auch Singles mit wahnsinnigen Stimmen und alleinstehende Mörder mit günstiger Sozialprognose.
    »Die meisten versprechen sich ja was von der Reise mit dem Esel«, fügt Bärbel hinzu.
    »Aber doch nicht das Ende des Singledaseins.«
    »Nein, das wohl nicht.«
    Bärbels Vater bringt uns die Soljanka. Die beiden Teller dampfen.
    »Guten Appetit«, sagt der Wirt.
    »Danke.«
    »Danke, Papa.«
    »Schlafen Sie hier?«, will Bärbels Papa wissen.
    »Ähm, ich … ich weiß es noch nicht.«
    »Ist gut, Papa.«
    Bärbel möchte nicht, glaube ich, dass ihr Papa weiter nachfragt. Aber er scheint das nicht zu registrieren.
    »Ich hätte noch ein Zimmer frei.«
    Er hätte wahrscheinlich ganze Etagen frei. Der Mann meint es gut und hat einfach nur die Sorge, dass ich bei seiner Tochter übernachte. Warum? Ich wäre eine gute Partie. Eine verheiratete Partie. Das Erste, was dieser Mann an mir entdeckt haben dürfte, ist mein Ehering. Aber der Mann braucht sich keine Sorgen zu machen. Ich will nicht seine Tochter, ich will
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