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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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bisschen …«
    »Ich glaube nicht. Ich war in diesem Reservat, und der Vergleich hinkt kein bisschen, nur dass da außerhalb des Reservates keiner den Wunsch verspürt, an diesem Zustand etwas zu ändern. Den Amerikanern ist das ziemlich egal, wie es den Indianern geht, solange die friedlich sind und in ihrem Reservat bleiben.«
    Es gab bestimmt nicht wenige Menschen in der BRD , die ähnlich über die Menschen in der DDR dachten.
    »Ich wollte mir das alles nur anschauen. Dann habe ich ein halbes Jahr in diesem Reservat verbracht. Irgendwann habe ich dann gespürt, dass ich genau dieses Leben leben möchte. Das Leben eines Hopi-Indianers.«
    »Und warum bist du nicht dageblieben?«
    Marvin Chavatangawunua blickt stumm zu mir. Darauf will er nicht antworten. Erst jetzt fällt mir auf, dass Friedhelm neben mir steht. Die Geschichte über die Hopi-Indianer scheint ihn zu interessieren, immerhin hat er dafür mit dem Grasen aufgehört.
    »Die Hopis glauben, dass die Geister, lange bevor die Erde erschaffen wurde, in einem Raum ohne Grenzen gelebt haben. Dieser Raum heißt Tokpela. Als die Erde erschaffen wurde, hat ihr Gott ein paar dieser Geister auserwählt, damit sie als Menschen auf dieser Erde leben.«
    So weit sind die Hopis nicht entfernt von unserem Glauben, mal abgesehen von Tokpela, über das wir uns streiten müssten.
    »Die ersten Menschen waren schlecht, sie missachteten die Vorschriften des Schöpfers. Deshalb vernichtete ein Feuer die erste Welt, und nur ein paar wenige Menschen überlebten. Es waren die Menschen, denen der Schöpfer eine zweite Chance geben wollte.«
    Ich nicke.
    »Der Schöpfer erschuf die zweite Welt. Und wieder waren die Menschen böse und missachteten die Gesetze. Schnee und Eis und heftige Stürme vernichteten auch diese Welt. Nur wenige Menschen ließ der Schöpfer überleben.«
    Klar, jetzt kommt die dritte Welt.
    »Es entstand die dritte Welt.«
    Natürlich.
    »Auch dort gelang es den Menschen nicht, in Frieden und Eintracht miteinander zu leben.«
    »Vierte Welt!«
    »Ja, aber die dritte Welt wurde diesmal nicht vernichtet.«
    Oh, eine Variation.
    »Ein paar Menschen verließen die dritte Welt, um die vierte zu suchen.«
    »Und die war dann wo?«
    »Hier.«
    »In der Uckermark?«
     
    Ganz kurz lächelt Chavatangawunua wie ein milder Vater über die Unkenntnis seines kleinen Jungen, dem man nicht böse sein muss, weil er es noch nicht besser wissen kann. Leider bin ich kein kleiner Junge mehr, sondern ein erwachsener Mann mit Hochschulabschluss. Das milde Lächeln des NVA -Indianers wirkt dadurch doppelt peinlich.
    »Die vierte Welt ist unsere Welt.«
    »Ja.«
    Jetzt nichts mehr sagen, es kann nur nach hinten losgehen.
    »Als die Menschen unsere Welt fanden, trafen sie auf Masaw, den Hüter dieser Welt. Und er schenkte ihnen Land, das nicht fruchtbar war, das niemand wollte. Und er schenkte ihnen seine Prophezeiungen.«
    Friedhelm weicht einen Schritt zurück.
    »Schreckliche Prophezeiungen.«
    Friedhelm weicht noch einen Schritt zurück.
    »Einige der Prophezeiungen sind bereits eingetroffen. Der Kürbis der Asche.«
    Was soll das sein, eine Panne beim Osterfeuer?
    »Die Atombombe.«
    Natürlich, der Kürbis der Asche.
    »Die Menschen des Lichtes.«
    Die Stadtwerke?
    »Die Mondlandung.«
    Was sonst?
    »Die Mauer der Tränen.«
    Alles klar, die Wiedervereinigung.
    »China.«
    Oder so.
    »Die Flut.«
    »Welche genau ist da gemeint?«
    »Keine. Die Flut wird kommen, und nur wenige Menschen werden sie überleben. Und dann entsteht die fünfte Welt.«
    »Sei mir nicht böse, aber das glaubst du doch nicht wirklich?«
    Warum sagt er denn jetzt nichts.
    »Ich meine, entschuldige, die Welt ist voll von solchen Geschichten. Eigentlich hätte schon beim Jahrtausendwechsel alles über die Wupper gehen sollen, aber nichts passiert.«
    Das könnte er wenigstens bestätigen, das sind nun mal Fakten.
    »Also, ich glaube an so was nicht. Klar, Fluten wird es immer geben, aber davon säuft die Welt nicht ab.«
    Friedhelm steht noch immer etwas hinter mir. Man sagt Eseln nach, dass sie Gefahren besser antizipieren können als Menschen, aber hier ist doch nun wirklich keine Gefahr zu spüren. Hier gibt es ja noch nicht mal einen Fluss, und das will was heißen, denn in der Uckermark gibt es überall Flüsse. Aber doch keine Flut.
    »Du bist kein Hopi.«
    Da hat er recht. Ich bin kein Hopi, ich bin ein Lehrer. Ich trage eine Funktionshose und keinen Lederfummel zwischen meinen Schenkeln. Und
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