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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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gewusst!«
    Friedhelm schaut mir interessiert zu, weil ich die Arme sinnlos zum Himmel strecke.
    »Ich war nie ein guter Biologe, aber hier muss ich sagen – Bingo! Das da ist verdammt nochmal eine Sumpfschildkröte. Ja!«
    Von einem Esel Anerkennung zu verlangen, ist zu viel verlangt. Dass er mich weiter interessiert anschaut, ist mehr, als ich verlangen kann.
    »Kannst du dir das vorstellen, die hat zweitausend Kilometer auf dem Buckel. Nicht die da vor uns, aber ihre Vorfahren. Zweitausend Kilometer vom Balkan in die Uckermark, und das bei einer Schrittgeschwindigkeit von … keine Ahnung, das steht hier leider nicht. Egal, Schnelligkeit ist auf jeden Fall etwas anderes. Ich frage mich, wer bei den Schildkröten für diesen Trip in die Uckermark verantwortlich war.«
    Friedhelm hält sein Interesse an mir aufrecht. Wenn Esel einmal interessiert sind, sind sie es lange. Kein Schüler hält den Vergleich mit einem Esel stand.
    »Im Ernst, warum Uckermark. Die pure Lust auf den Osten? Eine Prophezeiung der Krötenindianer? Reine Blödheit?«
    Es tut mir leid, was ich da gerade gesagt habe. Friedhelm wird die Entscheidung für die Uckermark auch nicht selber getroffen haben.
    »Weißt du was, ich habe eine Idee.«
    Jetzt wendet Friedhelm seinen Blick ab. Ideen sind nicht sein Ding. Es sei denn, es sind seine eigenen. Er hat nun die Idee, etwas zu fressen, und niemand wird ihn davon abhalten.
    Ich indes habe keinen Hunger. Jetzt, wo ich das Handy eh schon in der Hand halte, könnte ich doch auch mal Karin anrufen.
    »Was meinst du, Friedhelm, soll ich sie anrufen oder nicht?«
    Die Sumpfschildkröte wird sich nicht an dieser Diskussion beteiligen, sie ist weg. So plötzlich wie sie da war, so plötzlich ist sie auch wieder verschwunden. Nach dem Quaken der Frösche zu urteilen, die mir vorher gar nicht aufgefallen waren, findet meine Idee in der Natur großen Anklang. Zumindest interpretiere ich diese Geräuschkulisse entsprechend. Friedhelm schweigt, vermutlich unentschlossen, vielleicht abweisend. Was auch immer, es soll wohl meine Entscheidung sein. Er will damit nichts zu tun haben.
     
    »Karin, ich bin’s, Björn«, sage ich und zwinkere Friedhelm zu, der sich sofort demonstrativ abwendet.
    »Björn, alles klar?«
    »Ja, irgendwie.«
    Karin klingt erfreut. Ja, sie hat vielleicht sogar auf meinen Anruf gewartet. Nein, nicht vielleicht, ganz sicher. Ich kenn’ sie doch, ich kenne jede Nuance ihrer Stimme.
    »Ja, du, alles klar … Wetter ist schön … und, äh …«
    »Björn?«
    »Ja.«
    »Kannst du vielleicht später noch mal anrufen, ich bin gerade auf dem Sprung.«
    »Kein Problem, ich muss auch weiter.«
    »Wir können ja heute Abend noch mal telefonieren«, schlägt Karin vor.
    »Gerne, wann?«
    »Keine Ahnung, heute Abend eben.«
    »Soll ich anrufen oder du?«
    »Versuch du es einfach, ja? Ich weiß nicht genau, wann ich wieder da bin, okay?«
    »Klar.«
    »Okay. Dann mach’s gut, Björn.«
    »Du auch, Karin.«
    Was soll ich jetzt noch sagen? Ich kann mich doch nicht so von ihr verabschieden.
    Klick!
    Ich habe sie weggedrückt. Einfach so. Sie wird sauer sein. Sie wird das Handy anschauen und fluchen! Nein, wird sie nicht. Sie wird sich Gedanken machen.
    Ich lasse das Handy in die Funktionshose gleiten und blicke meinen Wandergenossen an: keine Ahnung, wo Friedhelm mit seinen Gedanken ist, er hat sicher nur Hunger, und eigentlich zählt nur das. Aber – vielleicht stimmt das auch gar nicht. Vielleicht will Friedhelm etwas ganz anderes. Zum Beispiel die Freiheit.
    Vielleicht hat Karin mir die Chance gegeben, das zu tun, was ich wirklich will. Es war keine Strafe, es war eine Chance, und ich habe sie genutzt. Das hier wäre der richtige Moment, um diese Chance auch Friedhelm zu geben.
    »Ich habe die schlauste, beste und liebenswerteste Frau auf der ganzen Welt.«
    Das kann Friedhelm nicht verstehen, er kennt sie ja gar nicht.
    »Sie hat das alles hier für mich getan.«
    Auch das wird Friedhelm nicht verstehen.
    »Für mich!«
    Friedhelm bewegt sich nicht mehr. Die Zeit ist wie eingefroren. Ich wette, dass sich in dieser Sekunde kein Zeiger bewegt. Ein historischer Moment. Für mich, für Friedhelm und ein bisschen auch für die Uckermark.
    »Willst du weg? Soll ich dich freilassen?«
    Friedhelm scheint diese Frage noch nie gehört zu haben.
    »Wenn du willst, kannst du abhauen. Ehrlich. Kein Scheiß. Guck!«
    Ich schmeiße den Zügel demonstrativ weg.
    Friedhelm lässt die Ohren kreisen. Es
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