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Esel

Esel

Titel: Esel
Autoren: Michael Gantenberg
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wenn Sie meinen.«
    Wer in Pinzow vom Marktplatz aus startet, hat die kleine Gemeinde innerhalb von fünf Minuten schon verlassen. Es gibt noch nicht mal eine Ampel, die ein Verlassen verzögern würde. Lediglich einen Kreisverkehr, der auf seine Art ein wenig Schwung nach Pinzow bringt.
    Paul-Elmars Wagen rumpelt und knarzt, die besten Tage hat er hinter sich, und der Diesel hämmert in Treckerlautstärke. Viel reden werden wir nicht, das ist schon mal klar.
    »Laut, ne?«
    »Hmh, ganz schön«, sage ich mit angehobener Stimme, damit man mich versteht.
    »Der Auspuff.«
    »Ah ja.«
    »Müsste mal gemacht werden, aber …«
    Paul-Elmar reibt Daumen und Zeigefinger übereinander, das internationale Zeichen für mangelnden Cashflow.
    »Und, gefällt es Ihnen hier?«
    »Was?«
    Um ihn zu verstehen, bräuchte man einen Satz Hörgeräte oder jemanden, der diesen unfassbar lauten Auspuff dämpft.
    »Ob es Ihnen hier gefällt?«
    »Ja. Können Sie vielleicht das Fenster schließen, dann ist es nicht so laut.«
    »Kein Problem.«
    Tatsächlich, es hilft.
    »Aber nicht meckern, wenn es zu heiß wird.«
    »Bestimmt nicht.«
    Die Außentemperatur beträgt irgendwas zwischen 23 und 25 Grad. Jedenfalls stand das auf der roten Digitalanzeige eines Werbethermometers, das die örtliche Sparkasse den Bewohnern von Pinzow vor ihrer Filiale spendiert hat.
    »Müssen Sie nicht eigentlich die ganze Strecke laufen?«
    »Nee, das ist ja kein Pilgerweg.«
    »Kein was?«
    »Pilgerweg, wie bei Kerkeling.«
    »Wer ist das denn?«
    »Kerkeling?«
    »Ja.«
    »Ein Komiker, Hape Kerkeling … der hat ein Buch geschrieben über den Jakobsweg …
Ich bin dann mal weg
 …«
    »Nie gehört.«
    »War ein Bestseller.«
    Paul-Elmar schüttelt den Kopf. »Sachen gibt’s.«
    »Und was machen Sie so, wenn ich fragen darf?«
    »Ich fahre Sie nach Flieth-Stegelitz«, sagt Paul-Elmar. Ob er es witzig meint? Keine Ahnung.
    »Und sonst?«
    »Ich bin Kartoffelbauer in Bömerode.«
    »Oh, interessant.«
    »Na ja, klingt spannender, als es ist.«
    Und jetzt erst fallen mir die Hände von Paul-Elmar auf. Diese Hände sind Werkzeuge, nicht für die filigranen Tätigkeiten des Lebens. Diese Hände können zupacken, wahrscheinlich können sie T-Träger verbiegen, ganz sicher aber können sie einen vor allem beschützen, was es auf dieser Welt an Bedrohungen gibt. Außer vor gelangweilten und lernunwilligen Schülern.
    »Und Sie, was machen Sie, außer Urlaub?«
    »Ich bin Lehrer.«
    »Oh, auch nicht einfach.«
    »Nee, ganz bestimmt nicht.«
    »Immer diese Ferien und dann mittags schon Schluss.«
    Wie konnte ich nur davon ausgehen, dass Paul-Elmar es ernst meinte.
    »Alles Vorurteile.«
    »Finden Sie? Haben Sie etwa keine zwölf Wochen Ferien?«
    Doch, die habe ich.
    »Und mittags Schluss?«
    Ja, meistens. Jetzt wird es Zeit, sich zu verteidigen, gegen diesen Kartoffelbauern und diese ewig gleichen Klischees und Vorurteile.
    »Ja, aber … haben Sie schon mal unterrichtet?«, frage ich ihn, sehr spitz und ganz deutlich provozierend.
    »Nee, und das brauch’ ich auch nicht.«
    »Wenn alle so denken würden, dann hätten wir aber ein Problem«, werfe ich ein.
    »Was denn für ein Problem?«
    »Keine Schulen, keine Ausbildung.«
    »Richtig«, sagt Paul-Elmar.
    »Ich denke, es macht schon Sinn, dass wir Lehrer haben. Ich habe mir jedenfalls etwas dabei gedacht, als ich Lehramt studiert habe.«
    Die Hitze bekommt mir irgendwie nicht.
    Paul-Elmar überlegt, aber nicht lange. »Wissen Sie, was mein Vater mir damals gesagt hat, als ich eingeschult wurde?«
    »Nein, leider nicht.«
    »Mein Vater hat mir gesagt: Paul-Elmar, wenn dir die erste Klasse schon auf den Sack geht, dann habe ich sehr schlechte Nachrichten, was deine Zukunft angeht.«
    »So schlimm wird es wohl nicht gewesen sein.«
    »Nö, so schlimm war es nicht.«
    Täusche ich mich, oder fährt Paul-Elmar besonders langsam. Flieth-Stegelitz ist immer noch 27 Kilometer entfernt, wie mir ein Schild am Straßenrand verrät.
    »Die ersten Jahre waren nicht einfach, morgens musste ich in die Schule, nachmittags musste ich auf dem Hof helfen.«
    Ein hartes Schicksal, keine Frage, aber von mir wird er kein Wort des Bedauerns hören.
    »Aber irgendwann habe ich alles in den Griff bekommen.«
    Toll.
    »Auf dem Gymnasium ging es dann besser.«
    Was? Paul-Elmar war auf dem Gymnasium. Diese Hände sind nicht entstanden durch das Pauken von humanistischen Gedanken.
    »Hatte ein paar richtig gute Lehrer.«
    Gute Lehrer,
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