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Es sterben immer drei

Es sterben immer drei

Titel: Es sterben immer drei
Autoren: Rosemarie Bus
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Prolog
    Umbrien – Sonntag, 17. September
    Nichts wie weg. So weit weg von ihm wie möglich. Brombeer- und Hagebuttenzweige zerren an ihrer Jogginghose und zerkratzen ihr die Arme. Die Nachmittagssonne verbrennt ihr Gesicht, der Schweiß tropft ihr in die Augen. Sie achtet nicht darauf. Schwer atmend bleibt sie stehen, rutscht aus und muss sich ins Geröll setzen, um die Tasche nicht zu verlieren. Das abgeholzte Gelände verdorrt in der Hitze. Eine Kraterlandschaft aus Laub und staubigen Zweigen. Zwischen den struppigen Resten der Macchia kann jeder ihre Bewegungen gut verfolgen, von oben, vom Weg oder von jenseits des Hügels, vom Dorf aus. Sie steht wieder auf, schaut sich um. Vielleicht beobachtet er sie. Daran hat sie nicht gedacht. Er sollte seinen bequemen Geländewagen verlassen, sich durch das Gebüsch zwängen und den Hang hochquälen. Sie lächelt. Wie gut sich Sadismus anfühlt, wenigstens ein kleines bisschen Sadismus.
    Der winzige Schlüssel hängt mit einem Lederband am Henkel der Tasche. Im Laufen zerrt sie ungeduldig daran herum, endlich gelingt es ihr, das kleine Vorhängeschloss zu öffnen. Sie wischt den Schweiß aus den Augen, klappt die Tasche auf und kann ihren Triumph immer noch nicht fassen. 100   000 Euro gehören jetzt ihr. Hunderttausend in funkelnagelneuen 500-Euro-Scheinen, frisch und straff, als hätte eine fürsorgliche Seele sie mit dem Bügeleisen geglättet. Sie glaubt, noch die Farbe zu riechen, wie bei einer druckfrischen Zeitung. Sie staunt, wie wenig Papier für ein neues Leben nötig ist.
    Sie widersteht der Versuchung, eines der kompakten Bündel aus der Tasche zu ziehen, die Banderole zu zerreißen und die Scheine einzeln in die Hand zu nehmen. Sie zu streicheln, zu falten, zu knüllen, sie endgültig in Besitz zu nehmen. Abergläubisch scheut sie davor zurück. Als könnte sie den Zauber zerstören, der ihre Zukunft schützt. Sie muss auf den richtigen Moment warten. Wie in der Liebe, denkt sie. Den richtigen Moment zu erkennen war immer ihre Stärke gewesen. Geduld zu haben, bis die Zeit reif ist. Sie hat meist intuitiv gehandelt und kein Mann hat ihr je widerstanden. Aber diese Jagd nach Anerkennung ist vorbei. Sie fühlt sich stark und frei. Sie wird es schaffen. Allein. Sie weiß es. Sie braucht die Männer nicht mehr, diese Art von Männern. Sie hat sich entschieden und ist bereit, die Konsequenzen zu tragen.
    Schon wieder stolpert sie. Steine rollen den Hang hinunter. Sie hält sich an einem stacheligen Baumstumpf fest. Die Tasche fällt in die Disteln. Beim Einsammeln der Geldbündel greift sie in die Dornen. Zufrieden betrachtet sie die zierlichen roten Tropfen auf ihren Händen. Diesen Blutzoll, sollte er der Preis für ihre Freiheit sein, zahlt sie gern. Das kleine Messingschloss, in dem noch das Schlüsselchen steckt, rutscht unter eine Heckenrose. Sie lässt es liegen. Auch das braucht sie nicht mehr.
    Der von Bulldozern zerstörte Pfad ist kaum noch zu erkennen, aber das Dickicht erholt sich schon wieder. Die Waldarbeiter suchen nur die Eichen aus, die Macchia walzen sie nieder. Ein paar Tage später trotzt das Gestrüpp schon wieder in gewohnter Feindseligkeit der Vernichtung. Jäger und Pilzsammler nehmen lieber den Trampelpfad der Kühe am Stacheldrahtzaun entlang hinunter zum Bach. Sie hat sich für den kürzeren Weg entschieden, den steinigeren. Auf keinen Fall darf ihr jemand aus dem Dorf begegnen. Was macht die verrückte Deutsche mit einer Handtasche im Wald? Diese Frage kann ihr gefährlich werden. Sie muss das Geld in Sicherheit bringen.
    Der Blick auf die Banknoten beruhigt ihren Atem, ihr Herz. Sie schließt die Tasche wieder und umklammert sie mit beiden Armen so fest vor der Brust, als bestünde Gefahr, sie könnte sich in nichts auflösen wie ein schöner Traum.
    Er muss für dieses obszön teure Designerstück extra nach Rom gefahren sein. Aber warum nur hat er sich für dieses scheußliche Türkis entschieden? Schade um das viele Geld. Sie weiß, was diese Taschen kosten. Einmal standen sie gemeinsam vor einem Schaufenster und er konnte den Preis nicht fassen. Fast 10   000 Euro für eine Handtasche. Und doch versprach er damals, ihr eines Tages genau so eine zu schenken. Es hatte wie ein Scherz geklungen. Als ob er selbst nicht glauben würde, dass er so großzügig sein könnte. Sie ist überrascht, dass er sich nun tatsächlich dazu durchgerungen hat. Ob die Tasche wegen der Farbe ein Sonderangebot war? Oder hat er vielleicht eine
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