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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft
Autoren: Franz Hohler
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dem andern gefragt hatte, derart überrumpelt war er gewesen.
    Vor ihm stauten sich die Autos, alle auf der Flucht aus Zürich in die rechtsufrigen Paradiesgärten, Küsnacht lag hinter ihm, gleich kam die Abbiegespur nach links, die nach Erlenbach führte, er überholte den letzten Wagen der Kolonne und strebte den Abbiegepfeilen weiter vorn zu, nicht allzu schnell, aber schnell genug, dass das Mädchen, welches mit dem Moped zwischen zwei Autos herausfuhr, um auf die andere Straßenseite zu gelangen, auf seine Kühlerhaube geworfen wurde, während ihr Zweirad an die Tür eines stehenden Wagens geschmettert wurde. Durch sein scharfes Abbremsen kollerte sie vor ihm auf den Asphalt und blieb dort rücklings liegen.
    Manuel schaltete den Motor ab, schloss einen Moment die Augen und drückte die Stirn ans Lenkrad.

    Dann öffnete er die Tür, kniete neben dem Mädchen nieder und wurde zum Notfallarzt.
    Sie habe schon der Polizei telefoniert, rief eine Frau aus einem geöffneten Fenster, der letzte Fahrer der stehenden Kolonne warnte die heranfahrenden Autos mit Handzeichen, hinter Manuel stand auch schon ein Wagen, dessen Lenker mit dem Pannendreieck zurückrannte und es auf die Mitte der Straße stellte.
    Die junge Frau war bewusstlos und trug keinen Helm. Außer Schürfungen an den Händen war keine Verletzung zu sehen, aber immerhin reagierten ihre Pupillen, als er ihr die Augenlider öffnete. Manuel lagerte sie seitlich, sie atmete ruhig. Die Frau aus dem Fenster rief ihm zu, sie habe auch die Ambulanz benachrichtigt. Er hoffte inständig, es sei kein Schädel-Hirn-Trauma und es gebe keine inneren Verletzungen. Dann nahm alles seinen Gang, den er aus seiner Zeit als Bereitschaftsarzt kannte.
    Die Störung des Verkehrs war beträchtlich, die Polizei musste die Lichtanlage ausschalten und die Benutzung der einen Fahrbahn von Hand regeln, der Unfall wurde genau aufgenommen, die Fahrerin neben und der Fahrer hinter ihm wurden als Zeugen befragt, mit der Fahrerin des beschädigten Wagens tauschte er die Adresse aus, versicherte ihr, dass er für die Reparaturkosten aufkommen werde, falls es Komplikationen mit der Versicherung des Opfers gebe. Als der Bezirksanwalt an der Unfallstelle eintraf, waren nur noch die Kreideumrisse des Mädchens am Boden zu sehen, sie selbst war bereits mit Blaulicht ins Kreisspital Männedorf transportiert worden. Manuels Wagen war auf der Abbiegespur zum Stehen gekommen, aber die Bremsspuren
begannen früher und zeigten, dass er die Mittellinie überfahren hatte. Da diese dort noch nicht durchgehend war, würde wohl das Mädchen als Unfallverursacherin gelten. Manuel hatte die Frau am Fenster gebeten, bei ihm zu Hause anzurufen und mitzuteilen, dass er wegen des Unfalls später komme, aber dass ihm nichts passiert sei.
    Als er nach neun Uhr die Treppe aus seiner Garage hochstieg und die Wohnung betrat, stand dort Julia mit besorgtem Gesicht und trug ihren Sohn auf den Armen.
    »Papi bum!« rief ihm Thomas entgegen.
    »Ja«, sagte Manuel, atmete tief ein und stieß die Luft hörbar wieder aus, »Papi bum.«

6
    J ulia machte sich Sorgen.
    Seit ihr Mann vor ein paar Tagen dieses 16-jährige Mädchen angefahren hatte, wirkte er oft bedrückt und war reizbarer als sonst. Im Spital hatte sich herausgestellt, dass es sich nicht bloß um eine Gehirnerschütterung, sondern um einen Schädelbruch handelte, aber das Mädchen war ohne innere Verletzungen davongekommen und auf gutem Weg zur Heilung, Manuel hatte die Patientin besucht und ihr einen Blumenstrauß gebracht. Der Bericht der Bezirksanwaltschaft stand zwar noch aus, aber da das Mädchen unvermutet zwischen zwei stehenden Wagen herausgefahren war, ohne an die zweite Spur zu denken, war es so gut wie sicher, dass Manuel keine Schuld traf. Er brauche sich wirklich keine Vorwürfe zu machen, hatte ihm Julia gestern gesagt, als sie merkte, dass seine missliche Stimmung anhielt.
    Es ärgere ihn einfach, dass er in einen Unfall verwickelt worden sei, und jemanden verletzt zu haben, ob vorsätzlich oder nicht, mache ihm zu schaffen. Es sei etwas anderes, ob man über sein Zerstörungspotential theoretisch Bescheid wisse oder ob man es praktisch ausübe.
    Trotzdem wollte er nicht mit Zug und Tram in seine Praxis fahren, wie Julia ihm vorschlug, denn diese lag auf der andern Seeseite, in Zürich-Wollishofen, das verlängere seinen Arbeitsweg, und er brauche das Auto so oder so, also sei es besser, es ständig zu gebrauchen, um in Übung zu bleiben.

    Er
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