Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft
Autoren: Franz Hohler
Vom Netzwerk:
mehr, es hatte ihn mit Stolz erfüllt, endlich der Alleinverantwortliche zu sein für die Probleme der Patienten, die zu ihm kamen.
    Nie hätte er gedacht, dass er derart explodieren könnte, das war fast, als ob er mit Julia unglücklich wäre.
    Julia. Sie war die zweite Frau in seinem Leben gewesen.
    Maja. Die Freundschaft mit ihr dauerte vom letzten Jahr der Kantonsschule bis zum dritten Jahr des Studiums. Sie
studierte Politologie, und dem einen Jahr, für welches sie dann nach Amerika ging, hatte ihre Beziehung nicht standgehalten, Maja hatte sich in Boston verliebt, war gleich dort geblieben und hatte geheiratet, einen amerikanischen Juristen, und er hatte sie seither nie mehr gesehen.
    Julias Bekanntschaft hatte er auf einer Fete in der WG seines jüngeren Bruders gemacht, dessen damalige Freundin Romanistik studierte. Julia war als eine Freundin der Freundin gekommen, war ebenfalls Romanistikstudentin und hatte, als er sie traf, eine Geschichte hinter sich, durch deren plötzliches Ende sie noch verwundet war.
    Sie hatten einmal zusammen getanzt und sich dann, auf einem Fenstersims sitzend, miteinander unterhalten.
    Als ihm die kleine, hübsche Frau mit dem ungebändigten Lockenkopf, die fröhlich und melancholisch zugleich war, nicht aus dem Kopf ging, fragte er zwei Tage danach seinen Bruder und dann die Freundin seines Bruders nach Julias Adresse. Sie trafen sich, einmal, zweimal, dreimal, Julia war zuerst zurückhaltend, aber dann blieben sie zusammen. Es war keine Frage, dass sie sich liebten.
    Wie lange war das her? Neun oder zehn Jahre. Julia hatte ihr Lizentiat gemacht, er seinen Doktor. Es folgte die Heirat, es kamen die Kinder. Julia hatte außer während ihres Mutterschaftsurlaubs nicht aufgehört, an der Kantonsschule Wetzikon zu unterrichten, ihr halbes Pensum Italienisch und Spanisch.
    Nie hatte er sich in diesen Jahren mit einer andern Frau eingelassen. Nicht dass er unempfindlich gewesen wäre, die Nähe zu Frauen, die er in seiner Arbeit täglich erlebte, gefiel ihm durchaus; wenn es ihre Ohren- und Nasengänge zu erforschen
galt, war der Abstand seines Kopfes zu demjenigen der Patientin so gering, dass er dem Duft ihrer Haare und ihrer Haut nicht entging und dass er schon bald ein kommunes Parfum von einem erlesenen unterscheiden konnte, es war ein Abstand, welcher die Intimitätsgrenze durchbrach und bei welchem ihm auch schon ein Seitenblick auf einen schönen Busen unterlaufen war, aber er hätte sich keine Anzüglichkeit irgendwelcher Art gestattet, geschweige denn einen Annäherungsversuch, weder fühlte er ein Bedürfnis dazu, noch hätte er gewusst, wie man so etwas in seiner Situation anpacken müsste.
    Vom Oberarzt der Klinik, bei dem er Assistent gewesen war, war bekannt gewesen, dass er, dreifacher Familienvater, eine Freundin hatte, eine Krankenschwester aus derselben Abteilung, auch sein Freund Zihlmann, der Urologe war, hatte kürzlich eine Bemerkung gemacht, die einem Eingeständnis gleichkam, aber Manuel war nie klar gewesen, wie man eine solche Beziehung neben einer Ehe vorbeischmuggeln konnte.
    Jetzt, auf einmal, wusste er es. Es war viel einfacher, als er gedacht hatte. Man stieß auf eine Frau, die ein Abenteuer suchte, fiel in einer dunklen Ecke übereinander her, mit aller Leidenschaft, die an den Rändern der Gewohnheit liegen geblieben war, und ging wieder auseinander. Auch die dunkle Ecke zu finden war nicht besonders schwer, wenn man über eine eigene Praxis verfügte.
    Doch halt, hier war etwas ganz anderes im Gange. Eva mochte zärtlich gewesen sein, leidenschaftlich, unersättlich geradezu, aber es war ja gar nicht das Abenteuer, das sie wollte. Was sie wollte, und jetzt wurde Manuel erst richtig bewusst,
was er gerade hinter sich hatte, war ein Kind. Hoffentlich, dachte er, hoffentlich ist nichts draus geworden. Ein Kind auf Bestellung, so etwas klappt ja selten beim ersten Mal. Sie werde sich melden, hatte sie gesagt, wenn sie ihn noch einmal treffen wolle - es wäre natürlich schön, hatte sie hinzugefügt.
    Ich muss sie anrufen, dachte Manuel, und ihr sagen, dass ich sie nie wieder sehen will. Meine Frau ist Julia, und sie ist die Mutter meiner Kinder. Er war aufgewühlt und konnte sich selbst nur mit dem Gedanken beruhigen, dass das der einzige und letzte Ausrutscher seines Lebens gewesen sein musste. Habe ich denn, fragte er sich, überhaupt Evas Adresse oder wenigstens ihre Telefonnummer? Er musste sich gestehen, dass er sie weder nach dem einen noch nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher