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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft
Autoren: Franz Hohler
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es vielleicht.«
    »Nein, aber Sie müssen zugeben, dass dies ein … etwas …« Er schüttelte den Kopf und suchte nach Worten.
    »Ein etwas ungewöhnlicher Weg ist, zu einem Kind zu kommen«, ergänzte sie.
    »Das ist das mindeste, was man sagen kann. Und es tut mir leid, aber ich stehe nicht zur Verfügung. Suchen Sie in Ihrem Freundeskreis nach einem Vater. Wenn ich Sie jetzt bitten darf -« Nach und nach gewann er seine Fassung wieder.
    Sie trat einen Schritt näher und legte ihm die Hand auf den Arm.
    »Mein Freundeskreis«, sagte sie etwas leiser, »mein Freundeskreis hat versagt. Ich habe drei abgebrochene Beziehungen hinter mir, drei, nun bin ich 35 und möchte ein Kind.«
    Manuel entzog seinen Arm ihrer Hand.
    »Hören Sie, ich verstehe wirklich nicht, wie Sie gerade auf mich kommen, auf jemanden, den Sie nicht einmal kennen -«
    »Das ist es ja«, sagte sie und legte ihre Hand erneut auf seinen Arm, »ich möchte einen Vater, den niemand kennt. Aber nicht irgendeinen. Sie waren an der Tagung, ich habe dort übersetzt, und als ich Sie sah, habe ich gewusst: Das ist er. Ich bin Ihnen zum Bahnhof gefolgt, leider nicht schnell genug. Aber jetzt bin ich da.«
    Manuel zog seinen Arm wieder zurück und machte zwei
Schritte hinter das Tischchen, auf dem die »Schweizer Familie« neben der »Sprechstunde«, dem »Geo« und der »Schweizer Illustrierten« lag. »Trotzdem, Frau Wolf, das geht nicht - wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«
    »Sie sind meine vierte Adresse in Zürich«, sagte sie lächelnd, »Ihre drei Kollegen waren übrigens alle der Ansicht, mein Gehör sei in Ordnung. Ich hätte so lange weitergesucht, bis ich Sie gefunden hätte.«
    »Also -«
    »Ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Ich weiß, dass Sie verheiratet sind. Es geht mir nicht darum, Ihre Ehe zu zerstören. Es geht mir auch nicht um eine Affäre mit Ihnen, geschweige denn um eine längere Beziehung. Ich will gar keine Beziehung mehr, dazu bin ich zu enttäuscht und zu verletzt. Ich möchte nur einen Vater für mein Kind. Sobald ich schwanger bin, gibt es Sie und mich nicht mehr. Ich werde keinerlei Forderungen an Sie stellen, darauf können Sie sich verlassen. Ich werde aus Ihrem Leben verschwinden und vollständig unsichtbar sein. Ich werde das Kind allein großziehen, und es wird nie erfahren, wer sein Vater ist.«
    »Sie wissen, dass Sie um etwas Unmögliches bitten.«
    »Wieso unmöglich? Ich bitte um ein Menschenleben.«
    »Ich glaube, Sie suchen eher einen Zuchtstier.«
    »Soll ich denn auf ein Wunder warten wie die Mutter Gottes?«
    »Warten Sie lieber auf einen Mann, der Ihnen gefällt.«
    »Da brauche ich nicht zu warten«, sagte sie, machte zwei Schritte um das Tischchen herum, fasste ihn an den Schultern, legte ihre Wange an seine und ließ, fast ohne ihn zu berühren, ihre Hände auf seine Hüften gleiten.

    Dr. Manuel Ritter, überrascht, blieb einen Augenblick zu lange stehen, ohne sich zu wehren, und in diesem Augenblick verwandelte er sich in einen namenlosen Mann, der zum erstenmal in seinem Leben einer Frau begegnet. Ihre Haare, ihre Haut, ihr Duft, ihre Nähe, ihre Stimme, ihre Wörter wirkten zusammen wie ein Zauber, der ihn umschlang. Als sie ihm seinen weißen Arztkittel abstreifte, war ihm, als falle sein ganzes bisheriges Leben von ihm ab; ein Dröhnen in seinen Ohren machte aus seinem Kopf eine Kathedrale, zitternd nahm er Eva an der Hand, ging mit ihr wie in Zeitlupe in den Raum, der soeben noch sein Sprechzimmer gewesen war, und schloss die Tür hinter sich.

5
    E r konnte es nicht fassen.
    Gegen acht Uhr abends fuhr er im Auto über die Seestraße heimwärts.
    Er konnte nicht fassen, was soeben geschehen war.
    Es war so fremd und übermächtig gewesen, dass er es gar nicht mit sich selbst zusammenbringen mochte. War das ein anderer gewesen, der sich in diese Frau verkrallt hatte, die so schamlos in sein Leben getreten war? In welchem Schattenloch hatte denn dieser andere gelauert, um in dem Moment hervorzuspringen und ihn von seinem Weg abzudrängen, von seiner Normalroute, die über Maturität, Militär, Studium, Heirat, erstes Kind, Assistenzarzt, zweites Kind, Praxis und eigenes Haus zum Gipfel führte? Manchmal sah er sich noch als Oberarzt, hatte sich auch einmal auf eine entsprechende Ausschreibung gemeldet, aber er war schon zufrieden, dort zu sein, wo er jetzt war, die Arbeit in seiner Praxis hatte er mit Freuden angepackt, es hatte ihm nach der langen Zeit der Ausbildung und Assistenzen gefallen,
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