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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft
Autoren: Franz Hohler
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fröhliches Lockenköpfchen würde, dem sie Pippi Langstrumpf erzählen würde, ein Baby, das sich bestimmt auch als Mädchen in ihrem kleinen Frauenhaushalt pudelwohl fühlen würde.
    Diese Rechnung war nicht aufgegangen.
    Schon im Kindergarten fragte Manuela, ob sie keinen Papa habe, und wenn sie ihr zur Antwort gab, es hätten eben nicht alle Kinder einen Papa, fragte sie, warum sie keinen habe. Der sei, nachdem er sie gemacht habe, weit weg gefahren und nicht mehr zurückgekommen, und sie wisse nicht, wo er wohne.
    Diese Version hatte sie beibehalten, und als Manuela größer wurde, hatte sie ihr von einem Fest erzählt, an dem sie mit einem Fremden getanzt habe, den sie nachher zu sich nach Hause genommen habe, und am andern Morgen sei er weg gewesen, ohne seinen Namen oder eine Adresse zu hinterlassen, sie habe sich bei verschiedenen Leuten erkundigt, die auch auf dem Fest gewesen seien, aber niemand habe ihn gekannt, und er habe sich nie wieder gemeldet.
    »War es wenigstens schön?« hatte Manuela einmal schnippisch gefragt.
    »Aber sicher«, hatte ihre Mutter geantwortet, »wunderschön.«

    Und als sie sich, entgegen allen ihren Erwartungen, in Richard verliebte, den sie auf einem Wirtschaftskongress kennen gelernt hatte, an dem sie als Dolmetscherin angestellt war, und als er sich, entgegen allen ihren Erwartungen, auch in sie verliebte und sie beschlossen zu heiraten, hatte sie zu Manuela gesagt: »Jetzt hast du einen Papa.« Doch Manuela weigerte sich, ihn Papa zu nennen, und benutzte, wenn sie zu ihm oder von ihm sprach, die Verkleinerungsform seines Namens, die auch ihre Mutter benutzte, Richi. Richard war ein paar Jahre älter als sie, hatte eine geschiedene Ehe hinter sich, war Vater zweier Söhne und war überhaupt nicht erschrocken, als ihm Monika gesagt hatte, sie habe eine Tochter.
    Eigentlich, so Richard damals, habe er sich immer eine Tochter gewünscht und freue sich, auf diesem Wege noch zu einer zu kommen.
    Doch die Erfahrungen mit der heranwachsenden Manuela waren ernüchternd. Sie ließ ihn immer spüren, dass er nicht ihr Vater war, sprach Freundinnen gegenüber vom Lover ihrer Mutter, was diese, als sie es einmal hörte, empörte. Sie sei verheiratet mit Richard, er sei nicht ihr Lover, sondern ihr Mann, und ob Manuela nicht merke, was sie ihm alles verdanke. Solche Wortwechsel pflegten damit zu enden, dass Manuela sagte, sie wäre lieber in Basel geblieben, mit Freundinnen, die zu ihr hielten, als alle vier Jahre in eine neue Stadt irgendwo in der Welt zu ziehen und dort irgendeine doofe deutsche Schule zu besuchen, mit lauter Kids von andern Nomaden, mit denen es gar nicht lohne, sich anzufreunden, weil alle sowieso nur auf Zeit hier seien. Oder, was für Monika noch schlimmer war, der Satz: »Wieso hast du mich nicht abgetrieben?«

    Dann begann Manuela zu fressen, quoll immer mehr auf, und es war mit Händen zu greifen, dass sie unglücklich war. Und es war schwer, neben einer unglücklichen Tochter glücklich zu sein. Am schönsten waren für sie und Richard die Zeiten, in denen sie allein waren, also wenn Manuela mit der Schule auf einem Ausflug oder in einem Feriencamp war. Monika war als Teilzeitsekretärin auf der Botschaft beschäftigt, wo Richard als Wirtschaftsattaché arbeitete. Beide hatten insgeheim gehofft, dass Manuela ihr Soziologiestudium an einer Universität in einer andern amerikanischen Stadt aufnehmen wollte, aber Manuela zog es nicht nur vor, in Washington zu bleiben, weil sie an der Hubbard Universität studieren wollte, an der fast ausschließlich schwarze Dozentinnen und Dozenten unterrichteten, sondern auch weiterhin an der Garfield Street zu wohnen und nicht in einem Studentenheim in der Nähe des Campus. Es sei bequemer für sie, hatte sie gesagt.
    Und da stand sie nun, unten an der Treppe, und stellte wieder einmal die Frage, von der sie genau wusste, dass sie keine Antwort darauf bekommen würde.
    Dieser Fettkloß, dachte ihre Mutter, ich könnte sie umbringen. Und dann sagte sie so ruhig wie möglich den Satz, den sie schon so oft gesagt hatte: »Weil ich es nicht weiß.«
    »Ich will es aber wissen.«
    »Du weißt, dass ich es nicht weiß. Und was hättest du denn davon, wenn du es wüsstest?«
    »Das weiß ich nicht. Es ist einfach ein Menschenrecht.«
    »Es gibt wichtigere Menschenrechte«, sagte Monika unwirsch.
    Du Schlange, dachte Manuela, ich könnte dich umbringen.
Und dann neigte sie ihren Kopf etwas zur Seite, blickte ihre Mutter genau an und
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