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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft
Autoren: Franz Hohler
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verschiedensten Blumenrabatten und Spalierbäumen an den Kalksteinmauern.
    Auf einer Bank war ein Schattenplatz frei, neben einer Studentin, die mit einem Markierstift in der Hand ein Buch las.
    Anna setzte sich und schaute über die Stadt zur Horizontlinie der Uetlibergkette hinüber, über der ruhig eine große Sommerwolke dahintrieb, welche die Form einer Schildkröte hatte.
    Soeben war ihr ein bißchen schlecht geworden.
    Sie entnahm ihrem kleinen Rucksack eine Petflasche und trank ein paar Schlucke Wasser.
    Bei diesem Treffen, so wurde ihr langsam klar, war es einzig und allein um das Foto gegangen, das Foto, das seltsamerweise die Schwester ihrer Mutter mit deren einziger Tochter zeigte. Ihre Tante Monika war demnach einmal Patientin bei Manuel gewesen. Das war zwar ein Zufall, aber an sich nichts Ungewöhnliches.
    Das Ungewöhnliche war, dass Manuel dieses Foto so lange aufbewahrt hatte. Es war offenbar wichtig für ihn, so wichtig, dass seine Hände leicht zitterten, als er es ihr hingehalten hatte, das war ihr nicht entgangen. So wichtig, dass er daraus ein Geheimnis machte.
    Also konnte es sich fast nur um eine Liebesgeschichte handeln. Eine Liebesgeschichte zwischen Manuel und ihrer Tante Monika, eine Liebesgeschichte, von der Manuels Familie nichts wusste und nichts wissen sollte. Anna lächelte bei diesem Gedanken, auch wenn sie an die Geburtstagsfeier vor zwei Tagen dachte, diese Harmoniebehauptung im Säli des Ausflugsrestaurants. Sie hatte Tante Monika immer gemocht
und konnte durchaus verstehen, dass sie als junge Frau auf jemanden wie Manuel oder überhaupt auf Männer anziehend gewirkt hatte. Wie ihre Mutter erzog auch sie ihre Tochter Manuela allein, und zwei oder drei Mal, als sie noch klein war, waren sie alle zusammen in den Ferien gewesen, in Südfrankreich, wo ein Freund von Tante Monika ein Haus besaß. Dann hatten sich die beiden Schwestern zerstritten, und je länger Anna darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien es ihr, dass damals Monikas Freund ein Auge auf ihre Mutter geworfen hatte.
    Sie sahen sich dann fast nur noch an Weihnachten bei der Großmutter, und Tante Monika rief Anna immer etwa einen Monat vorher an, um sie zu fragen, was sie gerne lese oder was für Musik sie gerne höre, und schenkte ihr dann ein Buch oder eine CD, die ihr gefiel.
    Sie bedauerte es, dass sie nie zu Manuela in die Ferien durfte, denn eigentlich hatte sie das Gefühl, bei Tante Monika sei es schöner als bei ihr zu Hause. Und als diese dann den Diplomaten heiratete, lebte sie zuerst in Stockholm, später in London und dann in Washington, und Anna beneidete ihre Cousine um die Möglichkeit, auf diese Weise die Welt kennen zu lernen. Sie hatte sie zuletzt bei Mutters Beerdigung gesehen, dort hatte Monika sie auch eingeladen, sie einmal in Amerika zu besuchen, wozu ihr aber irgendwie die Energie gefehlt hatte.
    Manuel und Tante Monika ein heimliches Liebespaar - die Vorstellung begann sie immer mehr zu amüsieren.
    Aber warum, fiel ihr plötzlich ein, warum hatte er dann ausgerechnet sie in das Geheimnis eingeweiht?
    Ein Handy klingelte, und die Studentin neben ihr nahm
es so lange nicht ab, bis Anna merkte, dass es ihr eigenes war.
    Es war Manuel, der ihr sagte, er habe noch etwas vergessen. Natürlich wäre er auch sehr dankbar, wenn sie Mirjam nichts von diesem Foto erzähle.
    »Okay«, sagte Anna, »schon klar.«
    Manuel bedankte sich sehr, und Anna schaute zur Wolke hinauf. Die Schildkröte hatte sich inzwischen in eine Schlange verwandelt. Anna begann sich zu ärgern. Manuel hatte sie, aus welchem Grund auch immer, zur Mitwisserin einer Lebenslüge gemacht, und nun sollte sie mitlügen. Und sie ließ sich das gefallen. Gut, nichts sagen heißt noch nicht unbedingt lügen, aber es war der erste Schritt dazu. Wenn Thomas sie fragen würde, was sie heute gemacht habe, sollte sie nichts vom Treffen mit Manuel sagen. Sie hatte ihm tatsächlich noch nichts davon gesagt, da sie sich weder gestern Abend noch heute Morgen gesehen hatten. Sie sollte auch Mirjam nichts davon sagen, genauso wenig wie Julia. Ihre Tante Monika fiel ebenfalls unter das Schweigegebot.
    Und Manuela?
    Anna lächelte.
    Von Manuela hatte er nichts gesagt.

22
    M om, wieso heiße ich eigentlich Manuela?« Die Frage ihrer Tochter traf Monika unvorbereitet.
    Sie saß im Arbeitszimmer im ersten Stock ihres Hauses an der Garfield Street in Washington vor ihrem Laptop und suchte im Internet die Zeltplätze rund um den Mount St. Helens
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