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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal
Autoren: Imogen Parker
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aber die Leute schienen sie nach wie vor für okay
zu halten.
    Die Ehe war eine seltsame Institution. Obwohl es
keine echte Ehe war, war sie ganz sicher, daß sie sich durch den bloßen
Umstand, seine Ehefrau zu sein, enger an Boy gebunden fühlte und ihm zu mehr
Loyalität verpflichtet war. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, aber
vielleicht lag es auch daran, daß sie anfangs hart üben mußten, um sich bei der
Einwanderungsbehörde oder seinen Eltern gegenüber nicht zu verraten, aber es
war ihr wenigstens gelungen, sich selbst davon zu überzeugen. Sie hatte das
Gefühl, ihm ihre Liebe vorbehaltlos schenken zu können, was vielleicht daran
lag, daß zwischen ihnen nie auch nur ein Funke von sexueller Spannung
übergesprungen war.
    Um seinetwillen und um ihrer beider willen war
sie froh darüber, daß er seinen Eltern schließlich doch die Wahrheit gesagt
hatte, obgleich ihm zu dem Zeitpunkt nur noch wenige Tage zu leben blieben. Es
war ein fürchterlicher Schock für seine Eltern gewesen, erfahren zu müssen, daß
er todkrank und schwul war. Sie wußte nicht, welche dieser Wahrheiten
seinem Vater mehr zusetzte. Das hatte es ihr sehr schwer gemacht, denn als Boy
schließlich gestorben war, hatte sie sich als echte Witwe empfunden und nicht
etwa so, als hätte mit seinem Tod eine Zweckehe geendet oder als hätte sie
einen engen Freund verloren, doch Boys Eltern hatten sich von ihr hereingelegt
gefühlt, ihre Wut an ihr ausgelassen und ihr betrügerische und, was noch schmerzhafter
war, ausbeuterische Absichten vorgeworfen. Eben diese Gehässigkeit, die zu
allem Überfluß von einer Seite kam, von der sie Mitgefühl erwartet und benötigt
hätte, hatte sie derart schockiert, daß sie in ihrer damaligen Gemütsverfassung
begonnen hatte, mit dem Gedanken an eine Rückkehr nach England zu spielen.
     
    Gemma stieß ihre Koffer auf den Treppenabsatz
hinaus und drückte auf den Kopf neben dem Lift. Dann kehrte sie noch einmal in
die Wohnung zurück und holte den Kosmetikkoffer.
    »Bye, Boy!« rief sie, wie sie es jeden Morgen
getan hatte, wenn sie sich auf den Weg zur Arbeit machte.
    Dann schlug sie die Tür hinter sich zu und
schloß mit einem Kapitel ihres Lebens ab.
     
     
     

2
     
    Hätte sich Gemma an dem Tag, an dem sie London verlassen
hatte, ihre Heimkehr ausgemalt, dann hätte sie sich nicht allein in einem Hotel
Piccadilly frühstücken sehen. Am Tag ihrer Abreise hatte sie sich nicht
vorstellen können, daß sie jemals wieder zurückkommen würde.
    Das frühmorgendliche London war blau und frisch.
Im Gegensatz zu der klebrigen Kunstlederstickigkeit des Taxis zum JFK Airport,
das am Vorabend durch den Queens-Midtown-Tunnel gekrochen war, empfand sie die
Taxifahrt von Heathrow ins Zentrum von London als zügig, erfrischend und
gänzlich unerwartet. Sie faßte das als ein gutes Omen auf.
    Sie hatte ein internationales Hotel gewählt, da
sie nach Anonymität lechzte, nach dem pastellfarbenen Vakuum, das sie brauchte,
um ihre Fassung wiederzuerlangen. Sie wollte eine Dusche, die funktionierte, ein
Fernsehgerät mit Fernbedienung und keine altmodische Behaglichkeit oder gar
vertraulichen Umgang mit dem Personal. Sie wollte die Zukunft frisch und
unbelastet in Angriff nehmen.
    Sie sah sich in dem Frühstücksraum mit seinen
blaßtürkisen Wänden und dem aufgebauten Büfett um — Frühstücksflocken in
ordentlich aufgereihten Portionsbeuteln, eine Schale mit frischem Obst, das
niemand je auch nur anrührte. Es hätte überall auf der Welt sein können. Zwei
Geschäftsleute saßen beim Frühstück, und einer von ihnen griff in seine
Aktentasche, die sehr neu aussah, um sein Handy herauszuziehen und einen Anruf
zu beantworten. Von seiner Frau, verdächtigte ihn Gemma, oder von seiner
Sekretärin im voraus so vereinbart, um seinen Begleiter zu beeindrucken. Sie
senkte den Blick auf ihre Zeitung und tat so, als lauschte sie nicht. Sie war
vom Jetlag benommen, und ihr schwirrte der Kopf. Sie bemerkte, daß sie mit
zermürbenden Gedanken rang, ohne zu wissen, worum es ging. Sie beschloß, mit
kleinen Entscheidungen zu beginnen — warme Speisen zum Frühstück meiden, Earl
Grey wählen, dann duschen und schlafen, obwohl das ihre innere Uhr aus dem Takt
bringen würde. Wenn sie aufwachte, würde sich alles leichter bewältigen lassen.
     
    An klaren Tagen in New York, wenn der Himmel von
einem reinen Blau war, schien er sehr weit weg zu sein, doch hier in London
hatte man das Gefühl, als könnte man die Hand
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