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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal
Autoren: Imogen Parker
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einen von der Sorte?« rief sie aus.
    »Wie meinst du das?«
    »Ich meine, was wirst du dann tun?«
fragte Meryl.
    »Ach so, ich verstehe. Hier heißt es also Alter
vor Schönheit, nicht wahr?« hatte Gemma sie geneckt. Meryl war ein paar Jahre
älter als sie.
    »Schließlich ist das hier mein Land. Ich habe
das Gefühl, ich sollte als erste vergeben werden.«
    »Mein Gott, wenn das nicht typisch amerikanisch
ist, dieses imperialistische Denken. Weißt du, was noch viel naheliegender
wäre?« fragte Gemma.
    »Nein...«
    »Wir lernen diesen perfekten Typen kennen, und
rate, was passiert? Er verliebt sich in Boy.«
    Die Beziehung zwischen Gemma und Boy trug alle
Merkmale einer vollkommenen Romanze — er hatte sie in ihrer ersten Woche in der
Stadt im Museum of Modern Arts angesprochen. Beide hatten denselben Matisse
betrachtet und schließlich zusammen Kaffee getrunken. Da ihr englischer Akzent
und ihre Ähnlichkeit mit der jungen Grace Kelly ihn begeisterten, hatte er
darauf bestanden, daß sie einander wiedersahen. Er hatte ihr die besten Plätze
der Stadt gezeigt, von schmuddeligen Jazzclubs an der Lower East Side bis hin
zur Carnegie Hall. Er war reich. Er lud sie zum Abendessen in schäbige Kneipen
im tiefsten Brooklyn ein und zum Mittagessen ins Windows on the World. Sie
kamen unglaublich gut miteinander aus, und er wurde ihr bester Freund. Nach
einem Jahr machte er ihr dann einen Heiratsantrag — und sie nahm ihn an.
    Das einzig Ärgerliche daran war, daß er schwul
war. Es war nicht etwa so, daß sie jemals einen falschen Eindruck von ihm
gehabt hätte; sie hatte es vom ersten Moment an gewußt: seine Kleidung, seine
eher feminine Schönheit mit dem babyblonden Haar, sein Gang, die Schlüssel, die
von der Gürtelschlaufe baumelten. Aber vor allem war es an dem
unverwechselbaren Näseln zu erkennen gewesen, mit dem er sprach.
    Es war eine reine Zweckehe, die es Gemma
ermöglichen sollte, in den Staaten zu bleiben. Doch als Boy starb, wollte sie nicht mehr bleiben.
     
    Eine einzelne dicke Träne fiel in Gemmas
Fettucine. Komisch, wie es dem Kummer immer wieder gelang, sich in dem Moment,
in dem man glaubte, ihn bewältigt zu haben, von hinten anzuschleichen und sich
einem auf die Schulter zu setzen. Als Gemma aufblickte, sah sie, daß es Meryl
nicht entgangen war.
    »Es ist erst drei Monate her«, tröstete sie, die
augenblicklich verstand, was los war. »Du wirst zwangsläufig noch eine ganze
Weile daran knabbern.«
    »Es wird mir bessergehen, wenn ich wieder
arbeite«, meinte Gemma. »Das wird mich ablenken.«
    »Weißt du, es ist wichtig zu trauern«, erwiderte
Meryl mit ungewohntem Ernst. »Das ist keine Charakterschwäche.«
    »Ich wollte an meinem letzten Tag hier nicht
unglücklich sein«, protestierte Gemma, die sich über sich selbst ärgerte, weil
sie ihren Gefühlen nachgab.
    »Schätzchen, manchmal hat man diese Dinge eben
nicht unter Kontrolle. Noch nicht einmal du. Ich werde jedenfalls eimerweise
heulen, wenn du fortgehst. Da kenne ich keine Scham.«
    Ja, sie würde Meryl gräßlich vermissen.
    Gemma stand auf der Straße und winkte
unermüdlich, während Meryls Taxi sich zentimeterweise auf der Sixth Avenue
vorarbeitete. Nach etwa hundert Metern bewegte sich der Verkehr schneller
voran, und das Taxi verschwand aus ihrem Blickfeld. Plötzlich kam es ihr vor,
als ginge alles viel zu schnell. Heute morgen war ihr der Zeitpunkt des Abflugs
Ewigkeiten entfernt erschienen. Jetzt war es schon fast drei. Ihr blieb nicht
genug Zeit. Sie hatte vorgehabt, durch die Straßen von SoHo zu laufen und all
die Plätze, die ihr besonders lieb waren, ihrem fotografischen Gedächtnis
einzuprägen, aber dafür war es nun schon zu spät. Sie hielt ein Taxi an.
    Obwohl die Möbel noch darauf warteten, von Boys
Vater abgeholt zu werden, kam ihr die Wohnung bereits leer vor. Sie hatte all
die Kleinigkeiten, die die Wohnung behaglich wirken ließen, in Kisten gepackt.
Die Vasen und Fotos, die Pinnwand in der Küche mit ihren Listen und Boys
Krakeleien. Boys Mutter hatte nichts von seiner Kleidung haben wollen, und
daher hatte Gemma alles einem Trödelladen vermacht. Ein paar Tage später hatte
sie beim Abhängen der Gardinen aus dem Fenster gesehen und bemerkt, daß einer
der schlaksigen jungen Schwarzen, die an der Straßenkreuzung mit ihren
Skateboards herumhingen, eines der handgenähten rosefarbenen Seidenhemden trug,
die Boy so gern gemocht hatte. Es war ein verrücktes Déjà-vu-Erlebnis, auf das
gleich darauf ein
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