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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
Autoren: Horst Bosetzky
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heute nich und morgen ooch nich, erst übermorgen wieda. Ick hab dir nur dein Mittagessen bringen wollen. Kartoffelsalat mit Buletten. Ville Schrippe, wenig Fleisch, aber bessa als nischt.»
    Tilkowski bedankte sich. «Wenn ick dich nich hätte. ..» Sophie Schünow brauchte nur hundert Meter weit die Straße entlangschlendern, schon folgten ihr die Männer mit wollüstigen Gedanken. «Die zieht die an wie det Licht die Motten», tuschelten die alten Jungfern. Stand sie mit vorn gestraffter weißer Schürze in ihrer Plätterei am Bügelbrett, drückten sich Heranwachsende wie Männer an der Schaufensterscheibe die Nase platt, sodass die Besitzerin schon auf die Idee gekommen war, Eintrittskarten zu verkaufen. Doch noch hatte Sophie Schünow nicht begriffen, dass ihr Körper ein großes Kapitel war, und alle gutsituierten Männer, die ihr Avancen machten, zurückgewiesen, noch ging sie mit Paul Tilkowski. Vielleicht lag das auch daran, dass ihre Eltern, ehrbare Gemüsekrämer, ziemlich frömmelten und sie als Kind immer in die Kirche mitgeschleppt hatten. «Ick bleibe Paule treu, und nächstet Jahr heiraten wa», erklärte sie allen, die es wissen wollten. «Wo die Liebe hinfällt. ..»
    Viel zu schnell musste sie wieder in ihre Plätterei zurück. Paul winkte ihr noch lange hinterher. Es kamen jetzt einige Kunden, die ein paar Briketts für ihre Kochmaschinen brauchten und allesamt anschreiben ließen. Tilkowski war das lieb, denn nur ungern kassierte er selber. Wie hatte schon sein Lehrer immer gesagt? «Kopfrechnen schwach, Religion sehr gut.»
    Weil er noch immer allein war, musste er alle paar Minuten ins Büro laufen und das Telefon abnehmen. Anschließend arbeitete er umso eifriger. Gerade war er dabei, schwere Säcke mit Koks, die für den Bäcker Kötterheinrich bestimmt waren, auf einen Handkarren zu hieven, als er Gustav Dlugy auf den Kohlenplatz kommen sah.
    Dieser verdammte Schwätzer von der Gewerkschaft! Großes Maul und nichts dahinter. Tilkowski hob den nächsten Sack hoch, als steckte er nicht voller Koks, sondern voller Bettfedern, und warf ihn auf den Karren.
    «Du arbeitest?», fragte Dlugy.
    «Nein, ich trainiere für Kraftsport Moabit.» Tilkowski sah keinen Grund, eine kleine Pause einzulegen.
    Dlugy fixierte ihn. «Du weißt, dass wir Kohlenarbeiter alle streiken?»
    «Alle nich, siehste ja.»
    «Es geht auch um deine Rechte und um höhere Löhne für dich», begann Dlugy zu agitieren. «Nur gemeinsam sind wir stark. Ohne uns sind die Unternehmer am Ende.»
    Tilkowski ließ einen weiteren prall gefüllten Jutesack auf die Landefläche krachen. «Ohne uns holen sie Arbeiter aus Hamburg oder aus Galizien nach Berlin. Die sitzen immer am längeren Hebel.»
    «Keine Angst, wir lassen uns schon etwas einfallen, um den Streikbrechern das Handwerk zu legen.»
    Tilkowski winkte ab. «Wenn die Schutzleute mit ihren Säbeln kommen und blankziehen.»
    Dlugy ließ nicht locker. «Paule, du bist doch einer von uns. Komm, mach mit! Wir brauchen dich.»
    «Hau ab!» Tilkowski griff nach einer Schippe.
    Dlugy ignorierte es. Er war sich seiner Stärke bewusst, vor Männern wie Tilkowski brauchte er keine Angst zu haben. Aber er hielt nichts von Gewalt, wenn es darum ging, andere zu überzeugen. Das «Willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein» war ihm zuwider. «Sieh mal, Paul, wenn ihr beide heiratet, Sophie und du, dann kommt ihr doch mit deinen paar Pfennigen nie und nimmer aus.»
    «Womit wir auskommen oder nich, det jeht dir eenen Scheißdreck an. Los, verpiss dich, du Arschloch!» Tilkowski hob die Schippe und ging langsam auf Dlugy zu.
    «Wenn schon, dann nur mit den Fäusten.» Dlugy krempelte sich die Ärmel hoch. «Aber es ist traurig, wenn Arbeiter auf Arbeiter einschlagen.»
    «Du bist doch schon längst keen Arbeiter mehr», höhnte Tilkowski. «Du bist doch ’n Bonze und kriechst denen von der Gewerkschaft in ’n Arsch, damit se dir vom Kohlenplatz wegholen, und im Büro verdienst du dir dann dumm und dämlich. Du Drecksau, du! Du Verräter!» Wenn Tilkowski Menschen hasste, dann Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre. Die benutzten solche wie ihn doch nur, um Karriere zu machen.
    «Einer muss doch mit den Arbeitgebern verhandeln», sagte Dlugy. «Und wir können das nun mal am besten. ..»
    Weiter kam er nicht, denn Tilkowski drang nun derart heftig auf ihn ein, dass er ein paar Schritte zurückweichen musste, um seine Fäuste hochzureißen und einen besseren Stand zu
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