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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
Autoren: Horst Bosetzky
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Wahrscheinlich streikten die Arbeiter auch hier. Nein, dann würde es einen Streikposten geben. Er schaute auf den Boden. Da fanden sich im schwarzgrauen Staub genügend Fußspuren. Er beugte sich etwas nach unten. Die Ränder waren noch ziemlich scharfkantig, also mussten es frische Spuren sein. Er wiederholte seine Frage, diesmal noch um einiges lauter. «Hallo, ist hier wer?» Wieder blieb das Echo aus. Gewarnt durch das, was in Storkow geschehen war, ging Kappe vorsichtig auf die Baracke zu. Diesmal hatte er kein Emailleschild in der Brusttasche stecken.
    Die Tür des Toilettenhäuschens in der hinteren rechten Ecke des Platzes wurde geräuschvoll aufgestoßen, und Kappe sah einen Mann herauskommen, der ganz offensichtlich nicht der Besitzer des Platzes war, sondern ein Kohlenträger. Er stutzte, denn von irgendwoher kannte er den Mann. Nein, nicht aus Storkow, sondern. .. Er kam nicht darauf. Sein Gedächtnis für Namen und Gesichter war nicht eben gut. Pech für einen Kriminalbeamten.
    «Sie arbeiten hier?», fragte er den Mann. Nicht eben intelligent, aber irgendwie musste das Gespräch ja eröffnet werden.
    «Ja», kam es lakonisch zurück.
    «Und heißen?»
    «Sie müssten mir doch kennen.»
    Kappe wollte seine Autorität nicht in Frage stellen lassen und versuchte es mit einem kleinen Wortspiel. «Wenn Sie mir nicht richtig antworten, werden Sie mich mal kennenlernen.»
    «Tilkowski, Paul Tilkowski. Wir hatten schon mal die Ehre. Die Schlägerei vor Kroll. Da haben Sie mir verhaftet.»
    «Ah ja, richtig.» Endlich konnte sich Kappe erinnern. «Und jetzt soll hier auf dem Kohlenplatz eingebrochen worden sein?»
    «Ja, kommen Se, ick zeige Ihnen allet mal.»
    «Sehr schön, ja. ..» Während er dem Kohlenarbeiter folgte, zog Kappe eine kleine Bleistiftzeichnung aus der Tasche, die ein Freund nach seinen Angaben angefertigt hatte. Sie zeigte das Gesicht des Mannes, der in Storkow auf ihn geschossen hatte. «Hier.» Er hielt Tilkowski die Zeichnung hin. «Sie kennen sich doch da aus. ..» Damit meinte er das Verbrechermilieu und die Gefängnisse und Zuchthäuser. «Ist Ihnen dieser Herr schon mal begegnet?»
    Tilkowski nahm das Porträt und studierte es sorgfältig. «Ja, könnte sein.»
    Kappes Herz machte einen gewaltigen Satz. «Wenn es Ihnen einfallen sollte, dann. ..» Er wusste, dass man mit Ganoven durchaus Geschäfte machen konnte. Halfen sie einem, einen Hai zur Strecke zu bringen, konnte man ihnen auch mal die kleinen Fische lassen.
    Gottfried Kockanz kam aus seinem Kontor und blinzelte in die Sonne, deren Licht so weich war, wie es sich für einen Altweibersommer gehörte. In einem Nebenraum hatte er ein Sofa stehen, das er gern für ein Mittagsschläfchen nutzte. Er hinkte etwas und hätte eigentlich einen Stock gebraucht, scheute sich aber, einen zu kaufen, weil er Angst hatte, dadurch großväterlich zu wirken. Die meisten Leute dachten automatisch, er habe im Krieg 1870 / 71 eine Verletzung davongetragen, doch wenn sie dann rechneten, kamen sie schnell dahinter, dass das unmöglich war. «Der kann doch nich als Dreijähriger Soldat jewesen sein.» Da man in Preußen war, konnte man sich schwer vorstellen, dass ein Mann anderswo als auf dem Schlachtfeld zum Invaliden geworden war, und tippte dann auf Kämpfe in den deutschen Kolonien - vielleicht hatte es ihn 1905 beim Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika erwischt. Da nickte er dann, denn das war recht ehrenvoll. Diejenigen, die ihn nicht mochten, lästerten, seine Hüfte sei ihm von einem Stapel umstürzender Briketts zerschmettert worden. In Wahrheit war er vor Jahren in der Thurmstraße unter eine Straßenbahn geraten.
    Kockanz war in Oberschlesien aufgewachsen und hatte nach Besuch der Handelsschule in der «Berg- und Hüttenmännischen Vereinigung» in Kattowitz als Buchhalter gearbeitet. Insbesondere hatte er sich um die nahe gelegene «Deutschlandgrube» zu kümmern gehabt, deren Flöze neun bis zwölf Meter mächtig waren und viele Besucher anzogen. Zu diesen gehörte auch Emilie, die siebzehnjährige Tochter des Berliner Kohlenhändlers Friedrich Kraatz. Es war Liebe auf den ersten Blick, und nachdem Kockanz eine Weile mit Emilie korrespondiert hatte, ließ er sich von seiner Firma nach Berlin versetzen, um ihr nahe zu sein. Obwohl der alte Kraatz auf einen reichen Schwiegersohn gehofft hatte, stimmte er der Hochzeit schließlich zu. 1892 heirateten Gottfried und Emilie und bezogen eine schöne Wohnung in der Charlottenburger
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