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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
Autoren: Horst Bosetzky
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Schloßstraße. Bald war ein Kind unterwegs, und ihr Glück schien vollkommen. Doch Emilie starb bei der Geburt, und auch das Kind war nicht mehr zu retten. Kaum hatte Kockanz den ersten Schicksalsschlag überwunden, traf ihn der nächste: der Unfall mit der Straßenbahn. Danach verlor er seinen Arbeitsplatz in der Firma, hatte aber insofern Glück, als ihm sein Schwiegervater anbot, den Kohlenplatz in der Wiclefstraße zu verwalten. Nach dem Tod des Alten erbte er diesen.
    Zwar besaß er die Wohnung in Charlottenburg noch immer, doch er fühlte sich nicht wohl, wenn er zu Hause war. Zu sehr erinnerte ihn alles an seine verstorbene Frau. Seine Freunde drängten ihn, sich doch wieder zu verheiraten, doch die Frauen, die er hätte haben können, wollte er nicht, und die, die er begehrte, wiesen ihn ab. «Ick will doch keenen Krüppel, ooch wenn er noch so ville Jeld hat.» Es gab eine, die hätte er schon gerne genommen, aber. .. Was blieb ihm da, als in die einschlägigen Etablissements zu gehen und nach einer Dame zu suchen, die diesem begehrenswerten Geschöpf möglichst ähnlich sah? Auch so kam er über die Runden.
    Paul Tilkowski starrte auf seinen Chef wie ein Tiger im Zirkus auf seinen Dompteur. Jedes Mal, wenn er ihn sah, verspürte er den archaischen Impuls, sich auf ihn zu stürzen und ihn zu zerfleischen, doch aus Angst vor der Peitsche zuckte er immer wieder zurück. Peitsche, das hieß in diesem Fall Entlassung und Gefängnis. Und in einer engen Zelle eingesperrt zu sein, in einem Menschenkäfig, das war für einen Mann wie Tilkowski das Schlimmste. Schon der Besuch des Kriminalwachtmeisters hatte ihn zutiefst beunruhigt.
    Kockanz kam dicht zu ihm heran und legte ihm den Arm um die Schultern. «Wenn ich dich nicht hätte, Paule.» Tilkowski war diese Berührung derart zuwider, dass er nun doch um ein Haar zugeschlagen hätte. Er schaffte es aber, unter Kockanz’ Arm hinwegzutauchen und dies als eine Geste der Demut erscheinen zu lassen. «Nich doch, ick. .. ick hasse Streiks und alle, die da in der Sickingenstraße. ..»
    «Danke.» Kockanz wandte sich zur Straße, wo gerade der Bollewagen aufgetaucht war und der Milchjunge bimmelte. «Zum nächsten 1. April gibt’s auch mehr Geld bei mir.»
    Tilkowski sah, wie Kockanz mit dem Milchmädchen schäkerte. Er kannte sie von der Tanzdiele her. Sie hieß Frieda und war hässlich wie die Nacht. Offenbar wollte Kockanz dennoch etwas von ihr. Tilkowski verstand das nicht, denn sein Chef hatte doch Geld genug, sich was Besseres zu leisten. «So wat von Jeschmacksverirrung», murmelte er und widmete sich wieder seiner Arbeit. Die Briketts, die lose auf einem großen Haufen lagen, waren in rechteckige Hucken zu stecken, Kästen aus einem hölzernen Rahmen und einer Rückwand aus Blech, mit dem der Träger den Kunden die Briketts in die Wohnung bringen konnte. Knapp hundert gingen hinein. Es war Tilkowskis Meisterschaft, seine beiden Gurte in die Löcher hinten einzuhaken, die Hucke zu schultern und die Treppen hochzutragen. Keiner in Deutschland schaffte vier Stockwerke in so kurzer Zeit wie er. Ohne außer Puste zu geraten. Die anderen Kohlesorten, Anthrazit, Steinkohle und Koks, wurden in Säcken transportiert, und auch da war er allen anderen Kohlenträgern überlegen. Allerdings gingen diese Sorten hier recht selten. Nur Geschäftsleute hatten das Geld und die passenden Öfen dazu. Aber die kauften dann wiederum lieber bei Kupfer & Co., weil sie da höhere Rabatte bekamen als bei Kockanz. Braunkohle war am wenigsten wert, aber am billigsten. Anthrazit hatte am meisten Heizkraft, war aber auch am teuersten. Was die Leute noch kauften, waren Eierkohlen, die man in der Fabrik aus Kohlengrus geformt hatte, und Koks, der selber nicht viel Hitze entwickelte, aber gut war, um die Glut im Ofen lange zu halten. Wer klug war, wählte eine Mischung von allen Sorten. Tilkowski konnte die Kunden gut beraten und sich damit manches Trinkgeld verdienen.
    Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er seine Braut, Sophie Schünow, erst bemerkte, als sie hinter ihm stand.
    «Bringen Sie die Kohlen auch zu mir nach oben?», fragte sie. Tilkowski fuhr herum. Er wusste, dass er auf der Hut sein musste, denn immer gab es einen, mit dem er in Händel verwickelt war und der ihm Rache geschworen hatte. Als er sie erkannt hatte, entspannte er sich. «Bei Ihnen geht’s auch hier im Büro. ..» Er küsste sie und wollte sie in die angegebene Richtung drängen.
    Sie befreite sich. «Nee,
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