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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer
Autoren: Dennis Vlaminck
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PROLOG
    KÖLN AM TAG DES HEILIGEN VITALIS,
28. APRIL 1248, EIN DIENSTAG
    Der stolze Burkhart kroch auf allen vieren. Seine Männer nannten ihn nicht grundlos den »Maulwurf«. Auch ohne das Öllicht, das er vor sich herschob, hätte er sich hier unten geborgen gefühlt wie in seiner Mutter Schoß. So tief unter der Erde, so gewaltige Fundamente über sich, überfiel andere die nackte Angst, sie fingen an zu schwitzen und zu schreien. Er aber blühte auf, wenn er die muffige Luft roch, wenn die Balken knirschten und Erde von der Decke rieselte. Dann wusste er, sein Werk war bald vollbracht.
    Er schob die Lampe weiter und rutschte zum nächsten Stützpfosten. Er hätte in dem Hohlraum durchaus stehen können, doch war seine Arbeit nur auf Knien zu verrichten. Andere Werkmeister lenkten ihren Blick nach oben und prüften die Querhölzer an der Decke, ob sie nicht unter der Last nachzugeben drohten. Burkhart aber wusste es besser. Er hatte bei Belagerungen schon viel mehr Mauern zum Einsturz gebracht als irgendjemand sonst. Waren der Feind ahnungslos und die Decke gesichert, lag die Gefahr nur noch selten über dem Stollen, sehr oft aber darunter. Niemand wusste, wie fest der Boden war, auf dem die Stempel standen. Und gerade hier, in der Nähe des Rheins, war das Grundwasser machtvoll. Es drohte die Sohle von unten aufzuweichen. Aber der Hohlraum durfte nicht zu früh einstürzen, nicht bevor alle Arbeiten beendet waren und alle Männer Höhle und Stollen verlassen hatten. Allein Burkhart bestimmte, wann das Bauwerk über ihm dem wegbrechenden Erdreich nach unten folgte.
    Dieses Mal war der Bau, den er in Schutt verwandeln sollte, ein ganz besonderer. Dieses Mal sollte er Gottes Haus in Köln zerstören. Sein größtes, ehrwürdigstes und schönstes Haus.
    Den Dom.
    Der Auftrag bereitete ihm schiere Freude. Es gab keine Belagerung. Es gab auch keinen Feind, der ihn zu entdecken drohte. Es gab über ihm nur einen Berg von Quadersteinen, Balken und Putz, der zu Staub werden musste. Ein leichtes Spiel. Und er, der weise Werkmeister Burkhart, war auserkoren, jene Hand zu sein, die der jahrhundertealten Kirche den Boden unter den Füßen wegzog. Der Ostchor, jener Teil der Kathedrale, der dem Rhein am nächsten lag und der heiligen Jungfrau Maria geweiht war, musste dem Erdboden gleichgemacht werden. Das Längsschiff und der Westchor sollten später fallen.
    Bevor er sich den nächsten Pfosten ansah, betete Burkhart ein Ave-Maria. Es war sein vertrautes Ritual. Wie einen Rosenkranz nutzte er das Balkengerippe bei der letzten Prüfung und betete sich durch den ganzen Brandraum, stets allein und am späten Abend, damit völlige Ruhe herrschte in seinem Bau und nichts seine Achtsamkeit störte. Entsprach alles seinen Wünschen, würden seine Leute morgen das restliche Reisig hinabschaffen und die Pfosten mit Pech bestreichen. Übermorgen dann machten sich die Flammen daran, Burkharts Werk zu vollenden. Und wenn die Balken zusammenfielen und die Höhle brach, würden tausende Menschen Zeugen sein. Sie würden das Getöse hören und die Staubwolke sehen, die sich wie der böse Odem eines Dämons über die Stadt erhob, würden, wenn die Wolke sich senkte, mit ungläubigem Staunen feststellen, dass ihrem stolzen Köln von diesem Dämon ein Stück des Herzens herausgerissen worden war. Sie würden erkennen, was er vollbracht hatte.
    Er, Burkhart, der Meister der Zerstörung.
    Mehr als sonst nach getaner Arbeit würde es der Maulwurf genießen, für einen Tag nicht in einem Erdloch zu stecken, sondern seinen Maulwurfshügel zu verlassen, in die Sonne zu blinzeln und sein Werk zu betrachten. Dann gebührte ihm bereits ein Stück des Ruhmes, in dem die Stadt sich suhlen würde, sobald der neue Dom stand. Denn um überhaupt erst die prächtigste Kathedrale zu erschaffen, die je auf Gottes Erde errichtet wurde, brauchte es einen Vernichter wie ihn. Um überhaupt erst Fialen, Säulen und Pfeiler in den Himmel und dem Herrn entgegenstreben zu lassen, musste der Maulwurf zuvor tief in der Erde wühlen.
    Um den neuen Dom zu gebären, musste der alte sterben. Und Burkhart war der Henker und der Geburtshelfer.
    »Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus. Amen.«
    Er beendete sein Gebet und betrachtete den Balken. Bestes Tannenholz. Stark. Eine mächtige Schulter, die große Last tragen konnte. Aber auch ein williges Opfer des Feuers, weit williger als Eiche. Ein Funke, Zunder und ein Windhauch genügten, um die Stütze schnell zu
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